Seit 2018 läuft das von Bund, Kantonen und interessierten Wirtschaftsverbänden getragene Programm «Integrationsvorlehre (INVOL)». Ziel ist es, die Teilnehmenden auf eine Berufslehre vorzubereiten. Die Resultate der begleitenden PHBern-Studie legen nahe: Die INVOL ist ein Erfolg. Auch dank den Lehrpersonen und betrieblichen Ausbildenden.

Die zunehmende Zahl geflüchteter und vorläufig aufgenommener Personen stellt die kantonalen Bildungssysteme vor die Aufgabe, schnell und nachhaltig Ausbildungsmöglichkeiten für sie zu schaffen. In der Schweiz startete 2018 das Programm «Integrationsvorlehre (INVOL)» mit einer Pilotphase. Die einjährige INVOL ist als Vorbereitung auf die berufliche Grundbildung konzipiert. Am Programm nahmen 18 Kantone teil, darunter auch der Kanton Bern. Die PHBern untersuchte im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) die INVOL schweizweit auf ihre Wirkung. Barbara Stalder und Marie-Theres Schönbächler von der PHBern leiteten das Forschungs- und Evaluationsprojekt.
«Die INVOL ist eine Erfolgsgeschichte», freut sich Barbara Stalder sichtlich. Denn: Die Zahlen sprechen für das Programm. Nach dem Abschluss der INVOL haben 70 Prozent eine zwei-oder dreijährige berufliche Grundbildung aufgenommen, die zu einem eidgenössischen Berufsattest (EBA) oder einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) führt.
Sprachförderung als Schlüssel
Das Forschungs- und Evaluationsteam untersuchte nicht nur die Übertrittsrate, sondern auch, welche Bedingungen für einen erfolgreichen Abschluss der INVOL entscheidend sind.
«Die Sprachförderung ist zentral», erklärt Barbara Stalder, «denn das Sprachniveau hat einen direkten Zusammenhang mit einem erfolgreichen Eintritt in die berufliche Grundbildung.» Nach Abschluss des Programms erreichten knapp drei Viertel der Teilnehmenden das angestrebte mündliche B1-Niveau und rund 90 Prozent das schriftliche A2-Niveau.»
Wichtige Rolle der Lehrpersonen
Es braucht nicht nur die Sprachförderung, sondern auch ein unterstützendes Umfeld. Die Forscherinnen konnten belegen, dass die soziale Komponente ebenso relevant ist.
«Lehrpersonen fungieren oft gleichzeitig als Coach, Lernbegleitende und Betreuende», verrät Marie-Theres Schönbächler, Co-Leiterin der Studie. Sie spielen eine enorm wichtige Rolle im ganzen System. «Die Begleitung der Lernenden», so die mittlerweile pensionierte Evaluatorin, «ist anspruchsvoll und verlangt viel Einsatz; sowohl von Lehrpersonen als auch von Ausbildenden in den Betrieben.»
Zusammenarbeit als Erfolgskriterium
Die INVOL basiert auf einer starken Zusammenarbeit zwischen Betrieben, Schulen, Sozialdiensten und dem jeweils zuständigen Berufsbildungsamt. Eine funktionierende Kooperation schafft Vertrauen und Kontinuität in der Begleitung der Teilnehmenden. Dies ist entscheidend für den Erfolg des Programms. «When spider webs unite, they can tie up a lion.» Barbara Stalder findet, dieses äthiopische Sprichwort veranschaulicht, wie gross die Kraft des Netzwerks ist, das die INVOL-Teilnehmenden trägt.
Nachwuchskräfte für die Betriebe
Auch die Wirtschaft kann von der INVOL profitieren. «Durch die INVOL bekommen wir motivierte, bereits erfahrene Fachkräfte, die wir langfristig einarbeiten können», betont ein betrieblicher Ausbildner. Die Unternehmen sehen das Programm als Möglichkeit, Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Viele bieten den Teilnehmenden nach der INVOL direkt eine Lehrstelle an. Inhaltlich äussert sich die grosse Mehrheit der Lehrbetriebe zufrieden oder sehr zufrieden über die INVOL. Nicht zuletzt, weil die Lernenden sehr motiviert sind und hohe Einsatzbereitschaft zeigen.
Nicht für alle ist die INVOL der richtige Weg: Rund 20 Prozent der Teilnehmenden steigen vorzeitig aus dem Programm aus. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Manchmal sind es schulische oder sprachliche Probleme, manchmal passt das Berufsfeld nicht, manchmal behindern das familiäre Umfeld oder persönliche Umstände wie Kriegs- und Fluchterfahrungen den Lernfortschritt.
Integration erwünscht?
Aus den Resultaten leitet das Evaluationsteam Empfehlungen ab, die auch für die Berufsfachschulen, die INVOL-Lernende ausbilden, relevant sind. Hier eine Auswahl.
- Mündliches Sprachniveau A2 als Zulassungskriterium für die INVOL beibehalten.
- Kleinere Klassen bis maximal 15 Lernende ermöglichen intensivere Betreuung und individuell zugeschnittene Sprachförderung.
- Bei sehr heterogenen Klassen Team-Teaching oder Unterstützung durch Klassenhilfen ermöglichen.
- Materialien bereitstellen, die den sprachlichen Voraus setzungen der Teilnehmenden gerecht werden, und die berufsfeldspezifischen Ansprüche berücksichtigen.
- Klare Ansprechperson für INVOL-Teilnehmende etablieren.
- Zusätzlichen Betreuungsaufwand in geeigneter Form abgelten.
- Intensive und regelmässige Zusammenarbeit zwischen Schulen, Betrieben und zuständigen Fachstellen stärken.
Fazit
Die Evaluation zeigt: Das Modell füllt eine bislang bestehende Lücke im Bildungssystem, fördert die gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten und Zugewanderten und leistet zugleich einen wertvollen Beitrag zur Fachkräftesicherung. Mittlerweile wird die INVOL als Regelangebot in 20 Kantonen angeboten. Im Kanton Bern heisst sie mit dem neuen Rahmenlehrplan schlicht «Vorlehre».
Mehr zum Schlussbericht erfahren?
Der INVOL-Schlussbericht mit weiteren Empfehlungen ist unter der Rubrik «Publikationen» zu finden auf:
INVOL – Integrationsvorlehre
Mit dem Pilotprogramm «Integrationsvorlehre (INVOL)» haben Bund, Kantone und interessierte Wirtschaftsverbände ein einjähriges Brückenangebot im Übergang in die berufliche Grundbildung geschaffen, das sich primär an anerkannte Flüchtlinge, vorläufig aufgenommenen Personen sowie an spät Migrierte und Personen mit Schutzstatus S richtet.
Das vierjährige Pilotprojekt startete 2018, wurde zunächst verlängert und 2024 in ein Regelangebot überführt. Ziel ist es, Geflüchtete und Zugewanderte besser in die Arbeitswelt und die Gesellschaft zu integrieren und so das Sozialhilferisiko zu senken. Die INVOL wird in verschiedenen Berufsfeldern wie Baugewerbe, Detailhandel, Logistik, Gesundheitswesen oder Gastronomie in der Deutschschweiz, in der Romandie und im Tessin angeboten.
Die PHBern hat das Pilotprojekt schweizweit evaluiert. Dazu wurden Teilnehmende und Ausbildende befragt, kantonale Ansprechpersonen interviewt, Fallanalysen durchgeführt sowie Monitoring- und Registerdaten ausgewertet. Die Studie wurde vom Staatssekretariat für Migration (SEM) in Auftrag gegeben und von der PHBern mitfinanziert.
Seit Beginn haben über 4700 Personen an der INVOL teilgenommen. Mehr als vier Fünftel von ihnen haben die INVOL erfolgreich abgeschlossen. Nach dem Abschluss haben rund 70 Prozent eine zwei- oder dreijährige berufliche Grundbildung (EBA oder EFZ) aufgenommen.
Sandra Liechti
Fotos: Sandra Liechti
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