Logo Kanton Bern / Canton de BerneEDUCATION

Der andere Königsweg in der Bildung – Die duale Berufslehre

Nicht aus jedem Automechaniker wird ein Chirurg – aber es ist möglich. Pascal Zimmermann hat genau diesen Weg genommen und zeigt, wie durchlässig die Berufsbildung ist. Zwei Drittel der Jugendlichen im Kanton Bern starten mit einer Lehre. Das Erfolgsmodell bietet Bodenhaftung, Verantwortung ab dem ersten Tag – und eröffnet Wege bis an die Universität.

Pascal Zimmermann ist Chirurg. Seine Berufskarriere hat er jedoch mit einer vierjährigen Lehre als Automechaniker begonnen. War das ein Fehlentscheid? «Keineswegs», sagt er rückblickend. «Lange war es überhaupt kein Thema, dass ich Medizin studieren würde. Das hat gar nicht existiert in meinem Kopf.» Über die Berufsmittelschule (BMS) und Passerelle fand er später doch den Weg an die Universität, wo er Medizin studierte. Sein Fazit: «Unser Bildungssystem ist megacool – du kannst irgendeinen Weg einschlagen, und trotzdem besteht immer die Möglichkeit, noch alles im Leben zu erreichen.»

Lehre oder Gymnasium – die Königswege

So wie Pascal Zimmermann beginnen im Kanton Bern jedes Jahr rund 10 000 Jugendliche eine Berufslehre. Sie verbringen ein bis zwei Tage in der Berufsschule, die übrigen Tage im Betrieb.Trotzdem gilt vor allem für vielen Eltern das Gymnasium oder die Fachmittelschule als Königsweg. Daniel Gobeli, Rektor der Wirtschaftsschule Thun, hält dem entgegen, das Gymnasium sei zwar ein Königsweg – allerdings nur einer von zweien, die es in der Schweiz gebe. Gerne würde er den Eltern die Angst nehmen, dass eine Berufslehre weniger gut sein könnte für ihr Kind als eine Matura.

Auch Gobelis Amtskollege in Interlaken, Ernst Meier, weiss, dass der Bildungsweg übers Gymnasium die Berufslehren konkurrenziert. Der Rektor des Bildungszentrums Interlaken stellt fest, dass die Konkurrenz noch zugenommen hat, seit die Weiche fürs Gymnasium schon im neunten Schuljahr gestellt wird. «Das bedeutet, dass wir ein Jahr für die Berufswahl verloren haben.»

Berufslehre als Erfolgsmodell

Beide sind überzeugt: Die duale Berufslehre ist kein Auslauf-, sondern ein geniales Erfolgsmodell. Das Berufsbildungssystem wird international bewundert und gilt als wichtiger Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Mit dem Berufslehrsystem können Firmen schneller auf Änderungen reagieren. So gibt es neue Berufe wie Solarinstallateur/in, Entwickler/in digitales Business und Hotel-Kommunikationsfachleute.

Zwei von drei Jugendlichen im Kanton Bern starten ihre Karriere mit einer Lehre. «Wir sind immer noch ein Kanton der Lehren», konstatiert Daniel Gobeli stolz. Ernst Meier ergänzt: «Wir bereiten junge Menschen nicht nur auf Prüfungen, sondern auch aufs Leben vor.» Nicht nur eine gymnasiale Ausbildung sei leistungsorientiert. «In der Lehre wird Verantwortung verlangt, und zwar ab dem ersten Tag. Schliesslich muss die Arbeit für den Betrieb rentieren.»

Die duale Berufslehre stützt sich auf drei eng verzahnte Elemente: Schule, Betrieb und überbetriebliche Kurse. Fällt eines davon zeitweise aus, tragen die beiden anderen zur Kontinuität der Ausbildung bei. Daniel Gobeli erklärt: «Die Hauptsache ist, dass die Jugendlichen am richtigen Ort sind, dass sie Boden unter den Füssen haben.» Diesen kann eine Schreinerlehre genauso bieten wie ein Gymnasiumsbesuch. Schliesslich habe eine Berufslehre drei Beine: den Lehrbetrieb, die Berufsschule und den dritten Lehrort, die überbetrieblichen Kurse. «Wenn einmal ein Bein etwas kürzer ist, steht die Lehre vielleicht einmal etwas schief, aber sie fällt nicht gleich um», veranschaulicht er. Haben Lernende einmal Probleme in der Schule, können sie sich vielleicht im Betrieb auffangen, oder umgekehrt.

Eine Stärke der Berufslehre ist insbesondere ihre Durchlässigkeit. Die Berufsmaturität öffnet nach der Lehre den Zugang zu Fachhochschulen und mit einer Passerelle auch zu Universitäten. «Solche Zukunftschancen machen Berufslehren attraktiv», ist Daniel Gobeli überzeugt.

Von der Realschule zum Firmenmitinhaber

Nicht jeder Lernende wird Chirurg – aber viele schreiben ihre eigene Erfolgsgeschichte. Dass Lernende später eine Firma übernehmen, ist z.B. nicht aussergewöhnlich So wie Urs Meinen: Nach der Realschule absolvierte er eine Lehre als Spengler und Sanitärinstallateur. Heute ist er Mitinhaber eines Unternehmens mit 50 Angestellten, die auf Flachdachabdichtungen spezialisiert ist.
Ob in den Operationssaal oder ins eigene Geschäft – die Berufslehre trägt weit. Sie ist mehr als ein Ausbildungsweg: Sie ist Boden unter den Füssen und Sprungbrett zugleich. Die duale Berufslehre ist ein Erfolgsmodell.

Rund 33'500 Lernende

Von den 15- bis 24-Jährigen in der Schweiz haben 63 Prozent eine abgeschlossene Berufslehre. Das Gymnasium erfolgreich beendet haben 27 Prozent, also deutlich weniger. Im Kanton Bern sichern 21 Berufsschulen neben der praktischen Berufserfahrung das theoretische Wissen.

Die Zahl der Jugendlichen, die im Kanton Bern eine Lehre beginnen, ist in den letzten Jahren bis auf 30000 im Jahr 2023 gesunken. Mittlerweile gibt es im Kanton wieder 33 500 besetzte Lehrstellen – und laut den Prognosen dürften es in den nächsten Jahren wieder mehr werden.

Anders verläuft der Trend in unserem Nachbarland Deutschland. Dort gibt es auch ein duales Berufsbildungssystem (siehe Kasten auf der nächsten Seite). Doch dort gibt es mittlerweile deutlich mehr Studierende als Auszubildende. Weniger als 40 Prozent der Jugendlichen beginnen noch eine Berufslehre.

So funktioniert Berufsbildung in anderen Ländern

In der Schweiz finanzieren der Staat, die Wirtschaft und Berufsverbände die Berufsbildung gemeinsam. Den grösseren Teil der Zeit verbringen die Lernenden in den Betrieben. Die Abschlüsse sind berufsspezifisch, standardisiert und national anerkannt. Ähnlich organisieren auch Deutschland und Österreich ihre Berufsbildung.

In anderen Ländern fehlt diese Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft. So ist die Berufsausbildung in Grossbritannien und in den USA stark von der Wirtschaft gesteuert und kaum staatlich reglementiert. Es gibt keine allgemein anerkannten Abschlüsse. Die Lernenden wählen verschiedene Lernorte und zahlen dafür Studiengebühren und Kurskosten.

In Frankreich und Schweden ist die Berufsbildung hingegen hauptsächlich in der Hand des Staates. Dieser steuert und finanziert die Berufsbildung in Form von Fachschulen. Lernende schliessen mit staatlichen Zertifikaten ab, die den Besuch weiterführender Schulen ermöglichen.

Synthèse : L’autre voi royale : La formation professionnelle duale


Pascal Zimmermann est chirurgien. Il a débuté sa carrière par un apprentissage de quatre ans comme mécanicien automobile. Comme lui, environ 10 000 jeunes commencent chaque année un apprentissage dans le canton de Berne. Un à deux jours par semaine, ils étudient à l’école professionnelle, les trois ou quatre autres jours étant consacrés au travail dans une entreprise.

Lors d’une journée de visite dans les écoles professionnelles bernoises, les députées et députés ont pu se rendre compte de l’efficacité de cette association entre école et pratique professionnelle.

Cependant pour les élèves, et surtout pour leurs parents, le gymnase et l’école de culture générale deviennent de plus en plus la « voie royale » en matière de formation. Daniel Gobeli, le recteur de l’école de commerce de Thoune, estime que le gymnase est bien une voie royale, mais seulement l’une des deux voies royales existantes.

Pour sa part, Ernst Meier, le recteur du centre de formation d’Interlaken, constate que la concurrence s’est encore accrue depuis que les élèves sont aiguillés vers le gymnase dès la 11H. «Cela signifie que nous avons perdu une année pour le choix professionnel.»

Pour Ernst Meier et Daniel Gobeli, il est néanmoins clair que l’apprentissage dual est un modèle de réussite et non un modèle en fin de vie. La formation duale est géniale, et elle le restera, ont-ils expliqué aux politiciennes et politiciens lors de la journée de visite.

Esther Diener Morscher

Foto: zvg

 

EDUCATION 3.25

Partager