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Stefan Wenger: «Dann geht die Tür auf, und man hat zwei oder drei neue Geschichten»

Es gefällt mir, dass ich nie in einen Alltagstrott gerate. Ich kann den Schultag nicht «präppen». An manchen Tagen habe ich das Gefühl, dass nicht viel los ist. Dann geht die Tür auf, und man hat zwei oder drei neue Geschichten – und je nachdem ist jede schwierig.

Ich habe die Kinder und Jugendlichen einfach gern. Im Zentrum steht für mich die Beziehungsarbeit. Wir haben ein sehr schönes gemeinsames Ziel, das simpel tönt, aber nicht immer ganz einfach zu erreichen ist: Wir möchten, dass es allen gut geht. Natürlich können wir nicht die Welt retten. Aber die Kinder wissen, dass sie nicht allein sind. Im Unterschied zu den Lehrpersonen unterstehen wir der Schweigepflicht. Das gibt den Kindern einen geschützten Rahmen.

Meine Türe steht immer offen, wenn ich nicht gerade in einem Gespräch bin. Die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe kommen zu 90 Prozent aus eigenem Antrieb zu mir. Die jüngeren Kinder werden häufig von Lehrpersonen oder ihren Eltern zu mir geschickt. Wenn sie mich schon kennen, sagen sich aber auch die Jüngeren: Jetzt will ich zu Herrn Wenger mit diesem Thema. Ich sage extra «Thema». Denn nicht alles, weswegen die Kinder zu mir kommen, ist gleich ein Problem. Manchmal will ein Kind einfach nicht jahrelang im gleichen Turnverein bleiben und sucht ein neues Hobby. Oder ein Kind will wissen, wie es einen Wochenplatz findet.

Ein schwierigeres Thema ist Absentismus – das Fernbleiben der Kinder von der Schule. Das kommt leider immer häufiger vor, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Deshalb bin ich froh, wenn Lehrpersonen möglichst früh darauf aufmerksam werden. Früher Kontakt schafft mehr Möglichkeiten.

Es freut mich immer, wenn ich ehemalige Schülerinnen und Schüler in der Stadt sehe und sie mich rufen und winken. Das zeigt, dass sie die Begegnung mit der Schulsozialarbeit positiv in Erinnerung haben. Was ich an meiner Arbeit nicht so mag, ist das Administrative und wenn ich mit Terminen jonglieren muss. Aber das ist ja beides nicht das Kerngeschäft der Schulsozialarbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mir einmal langweilig wird in meinem jetzigen Beruf.

Mein erster Beruf war Koch. Ich arbeitete in der Gastronomie. Bis ich ein Inserat des Schweizerischen Roten Kreuzes sah, das eine Betreuungsperson suchte, die an den Wochenenden für 80 Personen kochen kann. Ich meldete mich und sagte, dass ich kein Betreuer sei, der kochen könne, sondern ein Koch, der sich vorstellen könnte, auch gut betreuen zu können. Ich bekam den Job und arbeitete dann fünf Jahre lang im damaligen Erstaufnahmezentrum für Asylsuchende. Als das Zentrum geschlossen wurde, wollte ich nicht mehr zurück in die Gastronomie.

Ich fand eine freie Ausbildungsstelle beim Robinsonspielplatz in Thun. An der Hochschule Luzern begann ich Soziale Arbeit zu studieren. Danach machte ich mehrere Jahre Quartierarbeit auf dem Robinsonspielplatz. Punktuell habe ich bereits damals mit der Schulsozialarbeit zusammengearbeitet, bis ich dann vor gut vier Jahren ganz wechselte.

Wir Schulsozialarbeitende sind nicht von der Schule, sondern von der Stadt Thun angestellt. So können wir unabhängig arbeiten. Ich bin aber nicht so allein, wie es in der Schule manchmal wirkt. Vielmehr sind wir ein Team von zehn Leuten. Das ist mir sehr wichtig, so kommt es oft vor, dass ich mit Kolleginnen oder Kollegen telefoniere und wir voneinander wissen wollen, was wir in bestimmten Fällen tun würden. Denn es gibt oft keine fertigen Rezepte, selbst bei gleich gelagerten Fällen.

Ich koche immer noch gern, aber ausschliesslich für meine Familie und Freunde. Ein Lieblingsessen habe ich nicht, probiere aber immer noch gerne Neues aus und liebe die Vielfalt. Ich gehe ausserdem regelmässig zum Bogenschiessen. Mein Sohn hat mich darauf gebracht. Nun gehen wir oft zusammen. Die Kombination aus ruhiger Atmung, kontrollierter Bewegung und Konzentration wirkt sehr ausgleichend und hilft, den Kopf freizubekommen.

Stefan Wenger (45)

ist seit gut vier Jahren Schulsozialarbeiter für die Primarschule Neufeld und die Oberstufenschule Buchholz in Thun. Er ist verheiratet, hat eine elfjährige Tochter und einen dreizehn jährigen Sohn und wohnt mit seiner Familie in Thun.

Esther Diener-Morscher

 

EDUCATION 4.25

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