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Der Weg als Ziel: Lernen im Gehen

Synthèse : Le chemin est le but, apprendre en marchant

Les chemins ne font pas que relier deux points : ils forment la pensée, ouvrent de nouvelles perspectives et nous font mûrir. La vie est considérée comme une succession de décisions et de projets au cours de laquelle détours et embranchements constituent de précieuses expériences d’apprentissage. La diversité et la flexibilité des chemins de vie modernes sont particulièrement visibles dans le parcours de formation. Les jeunes gens naviguent à travers un système de possibilités de formations et de métiers complexe, soutenus par leurs parents, par leurs enseignantes et enseignants et par l’OP. Des exemples de réussite, comme celui de l’Ukrainienne Zlata Romanchuk, qui a obtenu sa maturité en Suisse après avoir fui son pays, ou encore comme ceux des personnes qui ont pu améliorer leurs compétences en lecture et écriture grâce aux cours de compétences de base, prouvent qu’un soutien individualisé et une prise d’initiative personnelle mènent à l’autodétermination et à l’indépendance. La valeur d’un chemin ne se fonde pas seulement sur le but atteint, mais aussi sur les expériences et les connaissances emmagasinées en route.

Wege sind viel mehr als Verbindungen zwischen Punkten, mehr als die Strecke zwischen Zuhause und Schule, mehr als die Spannweite zwischen dem zaghaften ersten Schritt in den Kindergarten bis zum vielumjubelten Schulabschluss. Wege sind Pfade der Reifung, die unsere Topografie des Lebens formen.

Der Ernst des Lebens beginnt: unterwegs mit der Mutter am ersten Schultag im Türmlischulhaus im Quartier Länggasse in Bern, um 1951. Foto: Keystone/Walter Studer

Wege bilden nach konfuzianischem Verständnis nicht bloss ein Mittel zum Zweck, sondern im Panta rhei1 des Weltenlaufs die wahren Ziele unserer Reise zur individuellen Vervollkommnung. Einmal in die Welt geworfen,2 begegnen wir auf unserem Lebensweg Gefährtinnen und Gefährten, die uns anleiten und begleiten, bis unsere Pfade sich einmal trennen; wir kreuzen dann und wann Wegelagerer, denen wir entgegentreten müssen, und wir treffen auf jene Fremden am Wegesrand, die uns in stürmischen Nächten Obdach gewähren. Stets aber bleiben wir unterwegs, oft rastlos und getrieben, manchmal mutlos und erschöpft, dann wieder voller Tatendrang und Zuversicht, dem Horizont entgegen, den wir zu erreichen hoffen. Denn unsere «Geworfenheit» zwingt unsere Existenz in ständige Bewegung, um der eigenen Sinnhaftigkeit näherzukommen.

Die Kunst der Routenfindung

Doch welchen Weg wählen wir auf der Suche nach uns selbst, und wie finden wir heraus, welcher Pfad zur Selbstfindung der richtige ist? – Das Leben erscheint in diesem Licht als eine Abfolge von Entwürfen, die durch Urteil, Wahl und Entscheidung Gestalt annehmen.3 Diese Akte der Selbstverfügung bilden denn auch jene Weggabelungen, an denen wir festlegen, welche Route wir einschlagen.

Heute sind es derer viele, die wir zur Auswahl haben – und die Weggabelungen sind zahlreich. Mehr denn je gilt, dass viele Pfade zur Selbstbestimmung führen: Ein einmal eingeschlagener Weg muss nicht für immer beibehalten werden. Eine Strasse, auf die wir aufgefahren sind, können wir bei der nächsten Abfahrt wieder verlassen. Es steht uns frei, die Autobahn zu wählen, um schnell ans Ziel zu gelangen, oder eine entschleunigte Reise über Land zu bevorzugen, um das Panorama zu sehen. Ebenso können wir uns bewusst entscheiden, Umwege in Kauf zu nehmen, denn diese erweitern bekanntlich die Ortskenntnis. Die scheinbar direkten Pfade offenbaren oft verborgene Hindernisse, während vermeintliche Abirrungen uns zu neuen Einsichten und unerwarteten Zielen führen.

Reise zur eigenen Reifung

Letzteres gilt insbesondere für den Bildungsweg, der selten geradlinig ist, auch wenn er am Ende ein in sich abgeschlossener Prozess darstellt. Einen Königsweg gibt es nicht. Umwege und Verzögerungen sollten dabei nicht als Hindernisse verstanden werden, sondern als wertvolle Gelegenheiten, die den Horizont erweitern und zu einem tieferen Verständnis der eigenen Stärken und Schwächen führen. Abstecher, Abwege oder auch Sackgassen können zu wertvollen Lernerfahrungen und Lebenseinsichten führen. Die Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystems und die Möglichkeit zur Umorientierung erlauben es denn auch, auf Alternativrouten ans Ziel zu gelangen.

Die Vielfalt und Flexibilität der angebotenen Lern- und Bildungswege eröffnen den jungen Menschen so die Möglichkeiten, die schulische Reifung nicht nur als Mittel zum Zweck zu verstehen, sondern als eine Reise zu den eigenen Bedürfnissen, wo sie ihre Interessen, Fähigkeiten und Werte entdecken und ausbilden können. Die Schule wird damit nicht nur der Ort des Lernens, sondern ein Hort, der die nächste Generation formt und sie für die Herausforderungen des Lebens rüstet. Die Schuljahre sind eine Zeit der ganzheitlichen Entwicklung, in der nicht bloss bildungsspezifische Inhalte aufgesogen werden, sondern sich auch Persönlichkeiten herausbilden und soziale Kompetenzen erworben werden. Gerade in dieser Hinsicht spielen neben den eher regulierten Verhaltensnormen in den Schulzimmern die tendenziell ungezwungeneren Interaktionen auf den Pausenplätzen und der bisweilen abenteuerliche Schulweg eine essenzielle Rolle, da sie bereits früh zur Sozialisation der jungen Menschen beitragen. Die Institution Schule ist damit weit mehr als eine akademische Etappe, bildet sie doch eine wesentliche Wegmarke unserer Reifung, in der wir beginnen, uns selbst ausserhalb der engen elterlichen Obhut zu entdecken und die Grundlage für unseren Werdegang zu schaffen. Während in der frühkindlichen Phase die Familie unsere Werte, Sichtweisen und Verhaltensweisen formt, eröffnet uns die Schule neue Welten, unsere Fähigkeiten zu entfalten und eigenständige Entscheidungen zu treffen. Den Bildungsweg erfolgreich zu begehen, ist denn auch die Möglichkeit, der Realität eine Chance zu geben.

Vielfältige Berufswege

Im Übergang zum Berufsleben finden wichtige Weichenstellungen statt, so die Wahl zwischen verschiedenen Ausbildungswegen oder die Festlegung eines spezifischen Fachbereichs. Gerade die Berufswahl ist ein komplexer Prozess. Jugendliche stehen heute vor einer imposanten Auswahl an Berufswegen, was den Entscheidungsprozess he rausfordernd macht und lähmend wirken kann. Eltern und Lehrpersonen sind in dieser Phase stark gefordert.

Die Neuorientierung nach der Schulzeit verlangt nach vielfältiger Unterstützung. Das BIZ begleitet junge Menschen in den dynamischen Berufsfindungsprozess. Lesen Sie dazu das aufschlussreiche Expertinnen interview mit Marianne Rust, Berufs- und Laufbahnberaterin beim BIZ Bern, auf den Seiten 16/17. Sie gibt uns Einblicke in die Herausforderungen und Möglichkeiten der Berufswahl. Dabei zeigt sie auf, wie vielfältig die Wege sind, die junge Menschen heute einschlagen können.

Drei Mädchen auf dem Schulweg stehen vor einer Schaufensterauslage, Freiburg zwischen 1945 und 1955. Foto: Keystone/Imagebroker/Voller Ernst/Hermann Fuss

Schritte zur Selbstbestimmung

Einen gelungenen Bildungsweg zeigt uns das Porträt von Zlata Romanchuk auf den Seiten 34/35, die nach Kriegsbeginn im März 2022 aus der Ukraine in die Schweiz flüchten und nach Abschluss der ukrainischen Pflichtschule sich in einem völlig neuen Bildungssystem orientieren musste. Trotz Sprachbarrieren schloss sie mit eisernem Willen die Matura ab, begleitet durch intensive Stützkurse und kreative Integrationsangebote. Ihr Weg zeigt, wie entscheidend individuelle Förderung und Eigeninitiative für den Bildungserfolg sein können.

Ein starkes Beispiel für die für die Selbstwirksamkeit und die transformative Kraft von Bildung sind die Interviews mit Sebastian Steffen und Stefania Orlacchio auf den Seiten 23/24. Sie berichten, wie sie trotz Lücken in den Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen ihren Weg zu Selbstvertrauen und Unabhängigkeit gefunden haben. Durch gezielte Kurse zur Verbesserung ihrer Lese- und Schreibfähigkeiten hat Stefania Orlacchio Hindernisse überwinden und ihren Lebensweg selbstbestimmt gestalten können. Und Sebastian Steffen hat seine Schwäche zur Stärke gemacht und als Autor mit Lese- und Rechtschreibstörung sogar einen der Literaturpreise des Kantons Bern gewonnen.

Der Sinn des Weges liegt im Gehen

Wege prägen unser Denken und Handeln, eröffnen neue Blickwinkel, fördern unsere Reifung und erweitern unseren Horizont. Das Wesen des Weges liegt dabei im Gehen selbst. In jedem Schritt liegt die Chance, uns weiter zu dem zu entwickeln, was wir sein wollen. In jedem Tritt liegt die Möglichkeit, uns unserem Lebenssinn anzunähern. In seinem indogermanischen Wortstamm «sent» bedeutet Sinn denn auch Reise oder Weg. Der erscheint, während man unterwegs ist.

1 Heraklit (circa 520– 460 v. Chr.) beschreibt die Welt als einen ständigen Wandel. Alles sei in einem unaufhörlichen Strom des Unsteten begriffen. Diese Idee illustriert der Vorsokratiker mit der Feststellung: «Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.» (Fragment 12).
2 Diese Formulierung verweist auf das Konzept des «Geworfenseins» im Denken Martin Heideggers (1889–1976). In seinem Hauptwerk «Sein und Zeit» beschreibt der Breisgauer Philosoph das menschliche Dasein als «geworfen», d. h., wir finden uns ungewollt in eine Welt hineinversetzt, deren Bedingungen wir uns nicht ausgesucht haben und in der wir uns selbst, unsere Wege und Ziele erst suchen und gestalten müssen.
3 Heideggers vorsokratisch verwurzelte Fundamentalontologie impliziert denn auch die ständige Notwendigkeit, sich in der Welt durch Entscheidungen zu orientieren, um das eigene Sein zu entfalten. In ähnlicher Tradition steht der Existenzialismus Jean-Paul Sartres, der die Freiheit und Verantwortung des Individuums betont, das eigene Leben durch Entscheidungen zu gestalten.

Christoph Schelhammer
Generalsekretariat
Kommunikation

Fotos: Keystone

 

EDUCATION 4.24

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