Die digitale Transformation schreitet unaufhaltsam voran und hat auf das Schulumfeld weitreichende Auswirkungen. Der Think Tank Medien und Informatik rund um dessen Leiter Dr. Uwe Dirksen und die Arbeitsgruppe «Künstliche Intelligenz» der PHBern haben sich unseren Fragen zum Thema KI angenommen.

Können Sie der Leserschaft kurz erläutern, was Künstliche Intelligenz (KI) im Bildungswesen umfasst und welche Bereiche davon besonders betroffen sind?
Künstliche Intelligenz wird grosse Veränderungen im Bildungswesen bewirken. Seit 2022 wurden mit ChatGPT Sprachmodelle zugänglich, die Schüler/innen schon jetzt bei der Bearbeitung von Aufgaben weitreichend unterstützen können. Lehrpersonen können die Sprach modelle gut zur Erstellung von Textalternativen oder auch für die Generierung von Fragestellungen zu einem Thema verwenden. Zudem wird intensiv an KI-Systemen gearbeitet, die im und ausserhalb des Unterrichts eingesetzt werden können.
Wie kann KI die Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler befriedigen?
KI-gestützte Lernangebote bieten Lernenden die Möglichkeit, auf spielerische Weise individuell und adaptiv zu lernen. Dies bedeutet, dass sie Aufgaben im eigenen Tempo und Schwierigkeitsgrad, angepasst an ihre persönlichen Voraussetzungen, bearbeiten können. Ein grosser Vorteil liegt dabei im direkten Feedback, das diese Systeme liefern. Dadurch können Lerninhalte optimal angepasst werden, Missverständnisse sofort erkannt und der Lernprozess unterstützt werden. Zudem können Erfolgserlebnisse durch diese Form des Lernens Prüfungsangst reduzieren.
Welche Rolle spielen Lehrpersonen in einer von KI unterstützten Lernumgebung und wie verändert sich ihr pädagogisches Selbstverständnis?
Es ist noch zu wenig erforscht, wie der Einsatz von KI die schulische Praxis und das Selbstverständnis von Lehrpersonen exakt verändern wird. Aktuelle Studien zeigen, dass einige Lehrpersonen offen und pragmatisch KI-Technologien in ihrem Unterricht erproben, während andere sie komplett ablehnen. Dies ist typisch für Innovationen. Lehrpersonen sind gut beraten, kontinuierlich die Chancen KI-gestützter Lernsettings und andere Veränderungen in Schule und Gesellschaft im Blick zu be halten und sich in dieser Hinsicht weiter zubilden. Die Pädagogische Hochschule Bern steht der KI grundsätzlich positiv gegenüber und betrachtet sie als wichtiges Thema in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Es ist entscheidend, dass bei bestimmten lern- oder entwicklungsbezogenen Schwierigkeiten eine erfahrene Pädagogin oder ein erfahrener Pädagoge präsent ist, um Kinder und Jugendliche durch die Welt der KI zu begleiten. Lehrpersonen und Eltern spielen hier ebenfalls eine zentrale Rolle.
Welche Schulungen und Weiterbildungen sind für Lehrkräfte angezeigt, um den sinnvollen Einsatz von KI im Unterricht zu gewährleisten?
Weiterbildungen sollten gemäss den drei Aspekten des Dagstuhl-Dreiecks1 stattfinden. Als technischer Aspekt sollte die grundlegende Funktionsweise von generativer KI ausgebildet werden. Sie hilft es zu verstehen, weshalb in Ausgaben beispielsweise Vorurteile enthalten sein können. Lehrpersonen sollten sich zudem einen Überblick über verfügbare Tools und Kompetenzen aneignen, um zu erkennen, wie KI für die Unterrichtsvorbereitung eingesetzt werden kann und wo deren Grenzen liegen, wo KI also das Lernen unter stützen kann und wo sie eher hinderlich ist. Dieses Wissen ermöglicht es den Lehrpersonen, sich mit didaktisch-methodischen Szenarien für die Integration von KI im Unterricht adäquat auseinandersetzen. Darüber hinaus ist eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von KI wünschenswert, um – Stichwort Fake News – z. B. die Risiken von KI im Bereich der Desinformation und der Beeinflussung zu erkennen. Ziel ist es, dass Lehrpersonen und Lernende ein hinreichendes Verständnis für KI, ihre Möglichkeiten, Grenzen und Risiken entwickeln. Lehrkräfte sollten somit in der Lage sein, dieses Wissen an die Lernenden weiterzugeben.
Das bringt uns zu den ethischen Überlegungen: Was gilt es bei der Implementierung von KI im Bildungsbereich zu beachten, gerade im Hinblick auf Datenschutz und Privatsphäre?
Ethische Überlegungen zu KI werden aktuell intensiv diskutiert. Dazu gehören Themen wie die Verantwortlichkeit von KI bei Fehlern und der Zugang zu KI-Anwendungen im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit. Zunächst ist es entscheidend, einen verantwortungsvollen Umgang mit KI zu pflegen und zu vermitteln. Zudem ist Transparenz im Umgang mit KI essenziell: Es muss klar geregelt sein, wer welche KI-Anwendungen zu welchen Zwecken nutzen darf und wie diese Nutzung gegebenenfalls deklariert wird. Der Schutz von sensiblen Daten und der Privatsphäre bleibt auch bei KI-Anwendungen zentrale Herausforderung. Zahlreiche internationale Angebote erfüllen die schweizerischen Datenschutzanforderungen derzeit nicht. Es ist deshalb wichtig, Lehrpersonen und Lernende für diese Thematik zu sensibilisiere.
Was sind erfolgreiche Implementierungen in Schulen, und welche weiteren Bestrebungen gibt es zur Förderung und Integration von KI im Bildungsbereich?
KI wird bereits in Schulen des Kantons Bern durch Lösungen wie Schabi und Fobizz erfolgreich eingesetzt. Zudem hat im Auftrag des Amtes für Kindergarten, Volksschule und Beratung BeLEARN die Handreichung «KI-Orientierung» für Lehrpersonen der Sekundarstufe I im Kanton Bern verfasst.2 Die PHBern bietet überdies zahlreiche Weiterbildungen in unterschiedlichen Formaten an, in denen das Thema KI im Zentrum steht oder fächerspezifisch thematisiert wird.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung von KI im Bildungswesen, und welche langfristigen Veränderungen erwarten Sie?
Die zukünftige Entwicklung von KI im Bildungsbereich wird im Wesentlichen von drei Aspekten geprägt: der fortschreitenden Individualisierung des Lernens, den aktuellen Herausforderungen durch Bias und Halluzination sowie den langfristigen Fragen zur Datennutzung und zum Datenschutz. KI treibt den Megatrend der Individualisierung im Bildungswesen voran. KI-basierte Anwendungen ermöglichen personalisierte Lernpfade, die auf die spezifischen Bedürfnisse und das Lerntempo der Schülerinnen und Schüler abgestimmt sind. Dies unterstützt auch asynchrones Lernen, bei dem Lernende in ihrem eigenen Tempo und unabhängig von festen Unterrichtszeiten lernen können. Man muss sich aber vor Augen führen, dass die Entwicklung von KI im Bildungsbereich noch immer in den Anfängen steckt. Probleme wie Bias und Halluzination3 werden derzeit in Kauf genommen, was jedoch das Vertrauen in KI und die Qualität der Lerninhalte beeinträchtigen kann. Diese He rausforderungen müssen adressiert werden, um den verantwortungsvollen Einsatz von KI in der Bildung zu gewährleisten. Die grösste langfristige Herausforderung liegt in der Gewinnung und Anwendung von Daten. KI-Applikationen benötigen Daten, um ihr Potenzial auszuschöpfen, insbesondere bei Bildungsanwendungen. Doch hier stehen sich Datenschutzbedenken und die Notwendigkeit, auf Daten der Lernenden zugreifen zu können, oft im Weg. Die Gesellschaft muss in den Diskurs treten und entscheiden, wie sie diesen Konflikt lösen möchte, um die Vorteile von KI im Bildungsbereich voll auszuschöpfen, ohne die Privatsphäre der Lernenden zu gefährden.
Welche Ratschläge würden Sie Schulleitungen und Lehrpersonen geben, die gerade erst anfangen, sich mit dem Thema KI im Bildungsbereich auseinanderzusetzen?
Gehen Sie in kleinen Schritten vor. Setzen Sie KI-Assistenz gezielt im Unterricht ein, wenn es sinnvoll ist, ähnlich wie bei Taschenrechnern. Entwickeln Sie in Ihrer Schule eine gemeinsame Haltung, die festlegt, wie und unter welchen Bedingungen Lernende KI nutzen dürfen. Verein baren Sie verbindliche Regeln mit ihnen, um zu bestimmen, welche KI-Tools wofür und wann eingesetzt werden dürfen. Lassen Sie die Schülerinnen und Schülern die Ergebnisse nach vorgegebenen Kriterien wie Korrektheit, Voreingenommenheit oder Halluzinationen kritisch überprüfen oder die Fakten durch eine Recherche bestätigen. Diskutieren Sie KI-generierte Bilder mit Ihren Schülerinnen und Schülern auf die Darstellung von Stereotypen hin und gehen Sie auf die KI-basierte Entstehung der Bilder ein.
Think Tank Medien und Informatik (TTIM)
Um die digitale Transformation an den Schulen aktiv mitgestalten zu können, wurde an der PHBern der Think Tank Medien und Informatik gegründet. Er setzt sich mit der digitalen Entwicklung im Schulumfeld auseinander und agiert als Innovationsmotor, Kompetenzzentrum und Experimentierfeld. Die TTIM-Projekte sind teilweise auf die Zukunft ausgerichtet und teilweise sollen sie aktuell Unterstützung bieten. Mit dem Onlinekurs «KI explains KI», der Veranstaltungsreihe «KI im Unterricht» und dem BeLEARN-Projekt «KI im Unterricht: Ethische Reflexion KI-basierter Workflows» unterstützt der TTIM direkt im Themenfeld KI. Mit Projekten zur Umsetzung von Zukunftslaboren in den Schulen und dem offenen Laborverbund LabNet ist der Think Tank auf die Zukunft ausgerichtet.
Hinweis zur Erstellung der Fragen
Der Fragenkatalog an unsere Expertinnen und Experten wurde für einmal mithilfe von ChatGPT, einem KI-basierten Sprachmodell, das maschinelles Lernen und grosse Datenmengen nutzt, erstellt. Der Redaktor hat ChatGPT mit spezifischen Informationen und Anforderungen zum Thema gefüttert, woraufhin das Modell ausformulierte Vorschläge geliefert hat. Durch verfeinerte Eingaben konnte so eine adäquate Fragensammlung zur Integration von KI im Bildungsbereich mit Unterstützung einer ebensolchen erarbeitet werden.
- Das Dagstuhl-Dreieck ist Teil der Dagstuhl-Erklärung und veranschaulicht die Forderung, dass digitale Bildung aus den folgenden drei Perspektiven betrachtet werden soll: (1) aus der technologischen Perspektive mit der Frage «Wie funktioniert das?», (2) aus der gesellschaftlich-kulturellen Perspektive mit der Frage «Wie wirkt das?» und (3) aus der anwendungsorientierten Perspektive mit der Frage «Wie nutze ich das?». Quelle: https://dagstuhl.gi.de/dagstuhl-erklaerung (letzter Zugriff 28.8.2024).
- Die KI-Orientierung ist online unter https://belearn.swiss/ki-orientierung/ (letzter Zugriff 28.8.2024).
- Bias (systematische Verzerrungen) im Kontext von KI «bezieht sich auf das Auftreten voreingenommener Ergebnisse aufgrund menschlicher Vorurteile, die die ursprünglichen Trainingsdaten oder den KI-Algorithmus verzerren – was zu verzerrten Ergebnissen und potenziell schädlichen Ergebnissen führt». Halluzination (Fehl- oder Falschinformationen) im Kontext von KI «ist ein Output generativer KI, der unsinnig oder komplett falsch ist – aber allzu oft völlig plausibel erscheint.» Quelle: https://www.ibm.com/ (letzter Zugriff 28.8.2024).
Christoph Schelhammer
Photo : Christian Knörr
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