Juno, Olesia und Noah haben kürzlich ihre Berufsausbildung begonnen, alle mit Aussicht auf EFZ oder Bachelor. Selbstverständlich ist das nicht, denn ihre Schullaufbahnen waren schwierig und lückenhaft. In der besonderen Volksschule «Bildung imfluss» in Zollikofen haben sie wieder Anschluss gefunden.

Ist es eine Zwischennutzung? Ein Co-Working-Space für Handwerkerinnen und Kreative? Das Winterquartier eines Zirkus? Die Räumlichkeiten von «Bildung imfluss» in einer ehemaligen Brauerei, später Schlosserei, sind etwas ganz Besonderes. Das passt zum Angebot dieser Schule. Als eine von aktuell über 30 besonderen Volksschulen im Kanton Bern nimmt sie Schülerinnen und Schüler auf, die in der regulären Schule nicht klarkommen oder ihr ganz fernbleiben.
Zurück in die Schule
So wie Noah Brunner, der sich von Lehrpersonen kleingemacht fühlte und vor Lärm, Konflikten und Stress floh, indem er oft fehlte. Dann ging er gar nicht mehr zur Schule. Wochenlang. Monatelang. Eingeteilt in die Schule «Bildung imfluss», wagte Noah nach über einem halben Jahr Schulabstinenz einen neuen Versuch, allerdings mit gemischten Gefühlen: «Es war für mich eine Herausforderung, in den schulischen Alltag zurückzufinden», erklärt er rückblickend. Zwar traf er an diesem neuen und etwas anderen Ort auf nur wenige Kinder und Jugendliche, dennoch fühlte er sich sofort von Reizen überflutet. Die Schule «Bildung imfluss» war im August 2023 gerade erst eröffnet worden, vieles sei da noch etwas chaotisch abgelaufen, erinnert sich Noah.
Gründer, Co-Schulleiter und Lehrer Jonas Abplanalp bestätigt dies schmunzelnd. Die Räume in den alten Gebäuden, die zum Ensemble des Schlosses Reichenbach gehören, ermöglichen inzwischen einen vielgestaltigen, durchlässigen Schulbetrieb. Sie mussten aber erst nutzbar gemacht werden. In die Renovation wurden Schülerinnen und Schüler aktiv miteinbezogen, ideell und handfest. Sie schufen sich ihre Schule sozusagen mit eigenen Händen.
Die eigenen Stärken entwickeln
Für Juno Henschel war «Bildung imfluss» vor allem ein «safe space», ein sicherer Raum, wie sie ihn nach zahlreichen Schulwechseln und einem Klinikaufenthalt brauchte, um in ihrem jungen Leben wieder Fuss zu fassen. «Die vielen Wechsel waren für mich verwirrend», sagt sie, «und ich hatte zuerst Angst, dass ich auch hier wieder nicht reinpassen würde.» Junos Angst verflog schnell. Die Lehrerinnen und Lehrer von «Bildung imfluss» begegneten ihr offen und unvoreingenommen. Sie setzten bei ihren Stärken an, schufen Raum und Zeit, um diese weiterzuentwickeln. «Ich konnte hier viel kreativ arbeiten», resümiert die fantasievoll geschmückte Juno. «Das half mir sehr. Ich verbesserte mich auch im Lernen.» Im August hat Juno den von vielen begehrten Vorkurs der Schule für Gestaltung Bern und Biel beginnen können – schon das ist eine Auszeichnung.
Auch Noah lobt die offene Art der Lehrpersonen bei «Bildung imfluss»: «Wir durften sie von Anfang an duzen», erzählt er. «Sie haben uns nie zu verstehen gegeben, dass sie etwas Besseres seien als wir, so von oben herab, wie ich es zuvor in der Schule erlebt habe.» Hatte Noah seinen Arbeitsplatz bei «Bildung imfluss» anfänglich im akustisch geschützten Lehrerzimmer, so konnte er sich nach einiger Zeit weiter öffnen und sich auf seine soziale Ader besinnen. Als ältestes Kind in einer grossen Patchworkfamilie hatte er immer Freude an den jüngeren Geschwistern und oft auch Verantwortung übernommen. Dies kommt ihm nun in der Ausbildung zum Fachmann Betreuung Kinder in einer Kita zugute.
«Wie kannst du nur mit Kindern arbeiten?», lacht Olesia Didukh, die dritte Ex-Schülerin von «Bildung imfluss», die an diesem Abend für das Interview mit EDUCATION in die Schule zurückgekehrt ist. «Ich könnte das nie!» Noah zuckt bloss mit den Schultern und lächelt charmant zurück. Olesia schreibt in einem Text über ihren Werdegang: «Kinder können mich stark stressen, und ich finde es nicht gut, dass es so wenige strenge Regeln für sie gibt.» Nach anderthalb Jahren bei «Bildung imfluss» kann sie den Regeln des Zusammenlebens selbst viel besser nachleben. «Ich habe gelernt, ruhig aus Konflikten herauszugehen, besser zu kommunizieren, andere Meinungen anzuhören und damit umzugehen.» Olesias Liebe gilt den Maschinen, mit denen sie seit Beginn ihrer Lehrzeit im August zu tun hat. Sie arbeitet für sich, auf Präzision bedacht. Läuft die Probezeit gut, wird sie nach dem ersten Jahr als Produktproduzentin zur Polymechanikerin befördert und kann den Abschluss mit EFZ (eidgenössischem Fähigkeitszeugnis) machen. Man glaubt ihr gerne, dass sie das schafft, so klar und überzeugt spricht sie von ihrem Ziel.
Neue Perspektiven finden
Olesia, Noah und Juno haben sichtlich Spass am Wiedersehen. Es gibt viel zu erzählen vom Einstieg ins Berufsleben. Alle drei haben ihn gut gemeistert. Selbst in der Berufsschule laufe es prima, betont Noah. Wegen seiner schulischen Vorgeschichte sei er erst etwas nervös gewesen, aber jetzt: «Alles gut!» Olesia unterbricht ihn sprudelnd: «Ich sag dir, mein Team ist das beste, das man haben kann!» Nebenan zieht Jonas Abplanalp eine duftende Fertigpizza aus dem Ofen. Er hört mit und freut sich sichtlich für seine ehemaligen Schützlinge. Das Ganze wirkt fast wie ein Familientreffen. Noah ist nun schon fast zu spät dran für sein Boxtraining, aber er will noch etwas bleiben und genehmigt sich auch ein Stück Pizza. Juno berichtet von der Freiheit, die sie in den Ateliers der Kunstschule geniesst. Olesia saust hin und her, schliesslich ist Sportlehrer Niko Kricka noch da, und « Biri», mit vollem Namen Michael Birnstiel – er ist bei «Bildung imfluss» fürs Fach Berufswahl zuständig, unterrichtet auch Handwerkliches. Und Boxen.
Draussen dämmert es allmählich, letzte Gelegenheit für den Rundgang im Schlossgarten. Einen Teil davon bewirtschaftet die Schule. «In den Gemüsebeeten sollte wieder mal gejätet werden», bemerkt Schulleiter Abplanalp im Vorbeigehen. Gleich daneben befindet sich der Stall, in dem ein Bauer nachts seine Schafe unterbringt – tagsüber sind diese unterwegs auf der grossen Weide, die sich fast bis hinunter zur Aare erstreckt. Vieles kommt zusammen an diesem besonderen Ort, koexistiert auf improvisierte Weise. Und so passt die Bezeichnung «Zwischennutzung» vielleicht gar nicht schlecht. Bis wann die besondere Volksschule «Bildung imfluss» hier noch bleiben kann, ist ungewiss. Ein langfristiger Vertrag mit den Vermietern gibt aber Sicherheit. Auf dem Rückweg zur Pizzarunde öffnet Jonas Abplanalp noch kurz die schmucke kleine Villa neben dem Schloss, wo die Jugendlichen einen Spielraum und einen Ruheraum selbst hergerichtet haben. Toll, denkt man, was für eine Fülle an Raum und Potenzial! Doch möglich ist dies nur, weil die denkmalgeschützten, aber vernachlässigten Nebengebäude dereinst wohl abgerissen werden.
Für Noah, Juno und Olesia ist diese Schule nun Vergangenheit. Haben Sie Zukunftspläne, Lebensträume? Noah könnte mit einem Fünferschnitt beim Lehrabschluss noch die Berufsmatura machen und dann Lehrer werden oder Sozialpädagoge – «Bist schon bei uns angestellt», witzelt Schulleiter Abplanalp. Olesia hat immer davon geträumt, einmal als Anwältin oder Staatsanwältin zu wirken. Und Juno möchte irgendwann vielleicht Laufstegfashion machen, weil sie da all ihre künstlerischen Interessen und Fähigkeiten zusammenbringen könnte. Die drei schauen einander an, ganz beeindruckt. Wer hätte all das von ihnen gedacht?
Neu und anders: die besondere Volksschule «Bildung imfluss»
«Bildung imfluss» ist eine von über 30 besonderen Volksschulen (BVS) im Kanton Bern. Hier werden Kinder und Jugendliche unterrichtet, die in der regulären Volksschule den Anschluss verloren haben und Unterstützung brauchen. Die Gründe für eine Aufnahme reichen von Lernbeeinträchtigung oder leichter geistiger Behinderung über familiäre und/oder psychische Belastung bis hin zu Entwicklungsstörungen und ASS oder ADHS. Eine fundierte Abklärung des Bildungs- und Entwicklungsstandes dient als Ausgangslage für die individuelle Begleitung der Jugendlichen.
Jonas Abplanalp und Tabea Haas, zuvor in der Stiftung Lerchenbühl in Burgdorf tätig, haben die Schule 2023 in Zollikofen eröffnet. Sie leiten sie gemeinsam und unterrichten auch. Weitere 13 Lehrpersonen mit sozialpädagogischem Hintergrund bilden mit ihnen das Team, das 20 Schülerinnen und Schüler betreut. Aktuell werden drei altersdurchmischte Klassen im Zyklus 2, 3 und 3+ geführt. «Bildung imfluss» ist eine öffentliche Schule und orientiert sich am Lehrplan 21.
Noah Brunner (17)

lebt mit seiner fünfköpfigen Familie und zwei Hunden in Bern. Seit August 2025 in der Ausbildung zum Fachmann Betreuung Kinder (FaBeK). Hobby: Boxen.
Juno Henschel (16)

lebt in Habstetten. Seit August 2025 im Vorkurs der Schule für Gestaltung Bern und Biel. Hobbys: Singen, Tanzen, Theaterspielen, Kino, Zeichnen, Schmuck machen.
Olesia Didukh (15)

ist in der Ukraine geboren und in Polen aufgewachsen, lebt in Bern. Seit August 2025 in der Lehre als Produktproduzentin/Polymechanikerin EFZ. Hobbys: Zeichnen, Boxen, Sprachen.
Synthèse : Cette école enseigne aux jeunes en difficulté à utiliser leurs points forts.
Olesia (15 ans), Juno (16 ans) et Noah (17 ans) ont commencé leur formation professionnelle en août, dans la perspective d’obtenir un CFC ou un bachelor. Cela ne va pas de soi pour eux, car leurs parcours scolaires ont été difficiles et lacunaires. Mais ils ont repris pied grâce à l’établissement particulier de la scolarité obligatoire « Bildung imfluss » à Zollikofen. « Je donne un dix sur dix à cette école », dit Olesia, « parce que j’y ai reçu de l’amour, du soutien et la chance de trouver la meilleure formation pour moi, celle de polymécanicienne ».
Jonas Abplanalp et Tabea Haas, qui travaillaient auparavant à la fondation Lerchenbühl à Berthoud, ont ouvert l’école en 2023 à Zollikofen. Avec 13 autres personnes, ils enseignent à 20 élèves. Les raisons justifiant d’être admis dans cette école vont d’un léger handicap mental à des troubles du développement, un TSA ou un TDAH, en passant par un stress familial et/ou psychologique. Une évaluation approfondie du niveau de formation et de développement sert de point de départ à l’accompagnement individuel des jeunes.
Tina Uhlmann
Fotos: Sam Bosshard
EDUCATION 3.25