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Ariane Zürcher – Traumjob über dem Nebelmeer

Aus dem Emmental ist Ariane Zürcher ins Oberland gezogen, um ihre erste feste Stelle als Kindergartenlehrerin anzutreten. Seit zehn Jahren unterrichtet sie nun an der Lenk, begeistert von den Möglichkeiten, die sich dort bieten. Nur freitags arbeitet sie etwas ganz anderes – ein bewährter Ausgleich.

Das erste, was an ihr auffällt, ist das Lachen. Spontan, laut, herzhaft. Und oft, sehr oft lacht diese junge Frau. Schon während der Terminabsprache am Telefon punktet Ariane Zürcher mit ihrem Lachen und steckt unweigerlich an: So jemanden besucht man gerne. Insbesondere an einem Tag, an dem die Stadt Bern, ja das ganze Unterland unter einer zähen Hochnebeldecke hockt und friert. Auch im unteren Simmental hängen noch Nebelschwaden zwischen den Tannen, gegen Zweisimmen hin wird es heller. Dort wohnt Ariane Zürcher. Jeden Tag pendelt sie die kurze Strecke an die Lenk, wo das Schulhaus mitten im Dorf steht. Gleich dahinter, an etwas erhöhter Lage, ist der Kindergarten in einem schmucken Chalet mit modernem Anbau und viel Umschwung einquartiert. «Strubeli» heisst das Maskottchen der Klasse im ersten Stock, ein freundlicher Zwerg mit Nickelbrille und Bart. Er hat vor den «grossen Leuten» etwas Angst, zum Beispiel vor der Journalistin, die an diesem Tag zu Besuch ist. 15 Kinder sitzen im Kreis und beruhigen ihn, die Lehrerin verschwindet fast ganz hinter der Zwergenpuppe, der sie eine tiefe Stimme leiht – fast wie eine Bauchrednerin. Und ganz offensichtlich hat sie selbst den grössten Spass an diesem Rollenspiel. Noch wichtiger ist ihr die Musik: Immer wieder wird an diesem Morgen gesungen, das Lied fürs Geburtstagskind sogar auf Deutsch, Französisch und Englisch. Dabei begleitet Ariane Zürcher ihr Chörli an der Gitarre oder auf einem alten Burger-&-Jacobi-Klavier. Seit mehreren Jahren leitet die 32-Jährige auch den Schulchor.

Sport und konservatives Umfeld

Der Hauptraum des Kindergartens ist lichtdurchflutet, die Fensterfront öffnet sich zum Tal, doch niemand hier drin beachtet das Postkartenpanorama, es ist für die Lenker Kinder alltäglich. Für Ariane Zürcher, die aus Wynigen im Emmental stammt, ist die Bergwelt auch nach zehn Jahren noch etwas Besonderes. «Ich finde es toll, was wir den Kindern hier unmittelbar vor der Haustür bieten können: Eislaufen, Skifahren, Langlauf … Sie bekommen viel Bewegung. Das ist sehr wichtig.» Auch für sich selbst nutzt Ariane Zürcher die Möglichkeiten des Kurorts rege. Zudem schätzt sie es, zwischendurch mal eine Skitour mit Kolleginnen und Kollegen zu machen. «Das schweisst zusammen!» Sie lacht ausgiebig. Lenk sei ja Endstation, da fahre der Zug nicht weiter. Wohl auch deshalb seien in der Freizeit nicht alle irgendwo anders unterwegs.

«Die Volksschule Lenk ist eine kreative, lebendige, sportliche Schule», heisst es auf der hauseigenen Website. Sport wird hier ganz offiziell grossgeschrieben, das war schon immer so. Und weil man alles gern so macht, wie es schon immer gemacht wurde, können manche Eltern kaum akzeptieren, dass das jährliche Schulskirennen für die Jüngsten nun nicht mehr mit einer Rangliste endet. «Wir finden, diese Art von Bewertung muss nicht schon im Kindergarten anfangen», erklärt Ariane Zürcher. Gemeinsam mit den Kolleginnen der Klasse «Bäremani» hat sie deshalb etwas Neues eingeführt: Die besten fünf Skirennfahrerinnen und -fahrer werden namentlich genannt, alle andern sind «gut gefahren». «Auch für das Kind auf dem letzten Platz soll der Spass im Vordergrund stehen», sagt Zürcher. «Schliesslich gehen die Kinder mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen ins Rennen.»

Vom Bauen und anderen Berufen

An diesem Vormittag beschäftigt sich die Klasse «Strubeli» nicht mit Sport, sondern mit dem Thema Bauen. Jedes Kind hat einen Turm abgezeichnet, den nun ein anderes Kind dem richtigen Foto zuordnen muss: dem Eiffelturm oder einem hölzernen Aussichtsturm, dem schiefen Turm von Pisa, einem Fernsehturm oder einem mit Sprungschanze. Dann sind die Kinder selbst ein Turm, zuerst ein breit(beinig)er, dann ein hoher, schmaler, zur Decke gestreckter und schliesslich ein Turm auf einem Bein. Die Lehrerin huscht zu quirliger Musik als Wind durch den Raum, rüttelt mal an diesem, mal an jenem Turm. «Wann war der Turm am stabilsten?», fragt sie, nachdem alle wieder im Kreis Platz genommen haben. Darüber gehen die Meinungen auseinander, bis ein bodenständiger Junge ruft: «Quatschchabis! Am stabilsten ist der Turm, wenn er unten breit ist.» Das war ein Machtwort, niemand widerspricht, und die meisten setzen das breite Fundament später beim Bauen mit Kappla um.

Zum Handwerk hat Ariane Zürcher einen familiären Bezug: «Grossvater war Schreiner, Vater ist Schreiner, auch der Bruder ist Schreiner, und die Mutter hat die Geschenkboutique dazu.» Wen wunderts, dass sie auch einen Schreiner zum Partner hat? Sie lacht. «Mein eigener Traumberuf aber war schon immer Lehrerin.» Und schon immer wollte sie mit den kleinen Kindern arbeiten, nicht mit den grossen. Inzwischen könne sie sich vorstellen, 1./2./3./4. Klasse zu unterrichten, sagt sie. Aber damals, am Institut Vorschulstufe und Primarstufe der NMS Bern nervte es sie, dass zur Ausbildung auch Mittelstufe gehörte: «Das sind ja zwei ganz verschiedene Berufe!» Nach ihrem Abschluss machte Ariane Zürcher knapp ein Jahr Stellvertretungen, dann bekam sie die Zusage vom Kindergarten Lenk. Zuvor reiste sie aber noch nach Kanada, wo sie drei Monate lang auf Farmen mit Pferden arbeitete.

Sorgenkinder und Schwarznasenschafe

Eigentlich wollte Ariane Zürcher nach ihrem Stellenantritt alle drei Jahre so eine Auszeit von drei Monaten nehmen, doch inzwischen hat sie eine andere Form des Ausgleichs gefunden. Sie hat ihre Stelle von 100 auf 80 Prozent reduziert und lässt sich freitags im Kindergarten vertreten. Nicht, um auszuruhen, sondern um neue Erfahrungen zu machen – letzten Winter etwa arbeitete sie in einem Bergrestaurant, im Sommer als Gärtnerin. «Aktuell habe ich am Freitag keinen festen Job, so kann ich zwischendurch im Geschäft der Eltern mithelfen.» Beim Gedanken daran strahlt sie. «Es ist einfach schön, handfest mit anzupacken und auch mal etwas ganz anderes zu machen!»

Aber nicht nur das. Die Arbeit in alternativen Kontexten hilft Ariane Zürcher auch, die «Sorgenkinder», die sie im Kindergarten immer wieder hat, ein wenig zur Seite zu stellen und an anderes zu denken. «Darin bin ich nicht so gut», sagt sie. «Ich kann ab und zu nicht schlafen, wenn ich ein Kind mit Problemen in der Klasse habe. Ich überlege nachts, was ich tun könnte, um es zu unterstützen.» Inzwischen kann sie sich besser abgrenzen. Im Unterricht aber ist sie mit Leib und Seele für ihre Schützlinge da. Sie hat ein Auge auf jedes Kind, ist ganz Ohr, wenn eines beim Freispiel zu weinen beginnt, flüstert hier einem etwas zu, setzt sich da mit einem hin und fragt fürs kindergarteneigene «Fründebuech» nach dem Lieblingstier. Wenn dann das Schwarznasenschaf genannt wird, wie an diesem Morgen, nimmt sie sich Zeit, zusammen mit dem Kind eine Runde zu lachen. Was für ein eigenwillig dreinschauendes Tier! Es würde gut zu den Hühnern passen, die zu Hause auf Ariane Zürcher warten.

Tina Uhlmann

Foto: Ruben Ung

 

EDUCATION 4.24

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