Laufbahngestaltung ist ein lebenslanger Prozess. Die Ausbildung der dazugehörigen Kompetenzen beginnt darum im besten Fall bereits im Kindergarten. Ein Gespräch mit Daniel Reumiller, Leiter BIZ Kanton Bern und Präsident SK BSLB, sowie Prof. Dr. Andreas Hirschi, Leiter Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bern.

Laufbahngestaltungskompetenzen (LGK) – ein sperriger Begriff, verbunden mit einer einfachen Frage: Über welche Kompetenzen muss ein Mensch verfügen, um die eigene Laufbahn in jedem Lebensabschnitt aktiv und selbstbestimmt zu gestalten? Im Auftrag der Schweizerischen Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (SK BSLB) beschäftigen sich derzeit zwei Teams der Universitäten Bern und Lausanne mit möglichen Antworten. Hand in Hand mit verschiedenen Partner/innen untersuchen sie, welche Kompetenzen in welchem Lebensabschnitt vonnöten sind, und öffnen das Feld dabei vom Kindergarten bis über die Pensionierung hinaus. Am Schluss des Projektes sollen eine Übersicht über die LGK sowie erste Ideen stehen, wie ebendiese in den verschiedenen Bereichen des Lebens verankert werden können.
Übungssache
Dass möglichst früh damit begonnen werden sollte, daran besteht für SK-BSLB-Präsident Daniel Reumiller und Prof. Andreas Hirschi bereits heute kein Zweifel. «Viele Eigenschaften und Fähigkeiten, die im späteren Leben wichtig werden, bilden sich schon in der Kindheit aus», so Hirschi, der den Berner Teil des Projektes LGK leitet. «Ansichten über die Arbeitswelt beispielsweise oder darüber, welcher Beruf für wen geeignet ist. Gleiches gilt für die Fähigkeit zur Selbstreflexion, die in der Auseinandersetzung mit der eigenen Laufbahn einer der Schlüssel zum Erfolg ist.» Wie in vielen anderen Belangen macht auch hier Übung die Meisterin. «Je früher wir Laufbahnkompetenzen ausbilden, desto einfacher lassen sie sich in den entscheidenden Momenten abrufen und anwenden. Weil sie dann bereits gefestigt sind.» Daniel Reumiller nennt diesbezüglich Skandinavien als vorbildliches Beispiel. Nicht nur, dass LGK dort ganz bewusst ab Kindergarten Teil des Lehrplans sind. Es müssen zudem zwingend Bezüge hergestellt werden, also etwa ein Bauer oder eine Bäckerin zugezogen oder besucht werden, wenn von deren Berufen erzählt wird. Neugierde wecken durch Veranschaulichung quasi. Ein Weg, den er sich auch für die Schweiz vorstellen könnte. Im weiteren Schulverlauf stehen das Kennenlernen und Ausloten der eigenen Persönlichkeit im Vordergrund: Wer bin ich, was will ich, was kann ich gut, was macht mir Freude? «In der Oberstufe dann gehen die Fragen weit über ‹Wie bewerbe ich mich?› hinaus», so Reumiller. Bevor nämlich eine Bewerbung abgeschickt werden kann, muss ein Entscheid getroffen werden. «Auch diese Fähigkeit nimmt ihren Anfang bereits im Kindergarten.»
Ein Grundprinzip, viele Anwendungsbereiche
Im Idealfall bauen die Laufbahnkompetenzen aufeinander auf und lassen sich so auf die jeweilige Lebensphase zuschneiden. Das Grundprinzip sei dabei oft das gleiche, sagt Andreas Hirschi: «Ob mit 14 oder 55 Jahren: Im Fokus stehen immer Gedanken über sich selbst sowie Zielformulierungen und das (Er)kennen von Umsetzungsmöglichkeiten.» Zusammen mit dem Projektteam hat Hirschi darum vier Hauptgruppen von LGK definiert: 1. Durch Selbstreflexion und -erkundung Ziele entwickeln und setzen und entsprechende Verbindungen zur Arbeitswelt herstellen. 2. Ressourcen und Hindernisse erkennen und sich Strategien zur optimalen Nutzung bzw. zur Überwindung überlegen. 3. Konkrete Pläne machen und sie umsetzen, sich also zum Beispiel bewerben, ein Netzwerk aufbauen und es sich zunutze machen, sprich alles, was es braucht, um in die Handlung zu kommen. 4. Einen Feedbackzyklus etablieren und die Überprüfung des Status quo zu einer regelmässigen Angewohnheit machen. Diesbezüglich vergleicht Daniel Reumiller das Thema Laufbahngestaltung gerne mit dem gesundheitlichen Befinden: «Vorbeugen ist immer besser als heilen. Mit unserer Laufbahn sollten wir es darum wie mit Gesundheitschecks halten und auch dann, wenn alles gut läuft, eine periodische Bestandesaufnahme kultivieren.»
Es gibt keine Männer- und Frauenberufe
Wie wichtig die frühe Förderung von LGK ist, zeigt sich am Genderthema besonders eindrücklich: «Bezüglich Berufswahl hat die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern eine über durchschnittlich grosse Gender Gap», so Daniel Reumiller. Dies gelte es darum unbedingt schon in jungen Jahren im Blick zu haben, sind er und Andreas Hirschi überzeugt. «Solche Stereotypen entstehen nicht erst mit 14 Jahren. Offene Perspektiven zu schaffen, muss folglich zu unseren Hauptaufgaben gehören. Je früher wir damit beginnen, desto freier werden die Kinder ihr Potenzial dereinst entfalten können.» Zeit also, die Mär von Männer- und Frauenberufen endgültig zu begraben.
Karin Hänzi
Fotos: zvg
EDUCATION 4.23