Im März 2022 kam Zlata Romanchuk aus der Ukraine in die Schweiz, im Sommer 2024 machte sie die Matur, seit September studiert sie an der Universität Bern. Ein beeindruckender Kraftakt, hinter dem neben eiserner Disziplin verschiedene gymnasiale Angebote für spät zugewanderte Fremdsprachige stehen.

Aus dem Krieg zwischen Stuhl und Bank: So lässt sich Zlata Romanchuks Ankunft in der Schweiz zusammenfassen. Anders als ihre drei jüngeren Schwestern fand sie im hiesigen Bildungssystem nicht auf Anhieb einen Anknüpfungspunkt. In der Ukraine hatte sie die elfjährige obligatorische Schulzeit abgeschlossen und wäre bereit für ein Studium an einer ukrainischen Universität gewesen, in der Schweiz fehlten ihr dafür unter anderem die Sprachkenntnisse. Zwar hatte sie in der Ukraine Deutsch als vierte Sprache belegt, sie aber ausserhalb des Unterrichts kaum benutzt. Zudem hatte das ukrainische Maturitätszeugnis für Schweizer Universitäten keine Gültigkeit. «Verglichen mit meinen Schwestern war ich damit bei der Einordnung ins Schweizer Bildungssystem ein Spezialfall», sagt die heute 19-Jährige und lacht. Neben den Anknüpfungspunkten fehlte ihren Eltern und ihr auch das Wissen über die verschiedenen Ausbildungswege. Welche Möglichkeiten gibt es, was ist wofür notwendig, welche Wege führen mich dorthin? Auf all diese Fragen galt es zunächst Antworten zu finden. «Eine Lehre etwa existiert in der Ukraine nicht», so Zlata Romanchuk. «Am vergleichbarsten damit wäre die ukrainische Berufsschule. Dort lernt man einen Beruf, jedoch ohne während der Ausbildung tatsächlich in diesem zu arbeiten.» Für sie stand ein Studium und mit ihm eine Aufnahme ans Gymnasium ohnehin im Vordergrund.
Herausforderung angenommen
Zuvor setzte sich Zlata Romanchuk in der Rudolf-Steiner-Schule Biel im Unterricht dazu. «Das war ein Angebot unserer Gastfamilie. Damit ich nicht einfach zu Hause sitze. Zudem konnte ich mein Deutsch auffrischen und verbessern.» Zu diesem Zeitpunkt merkte sie ein erstes Mal, wie viel einfacher sich die Integration in jüngeren Jahren gestaltet. «Meine jüngste Schwester war damals fünf, konnte in den Kindergarten und in die Kita und lernte dort die Sprache quasi nebenher. Weil Kinder in diesem Alter einfach drauflos sprechen und sich von fehlenden Worten und unterschiedlicher Herkunft nicht bremsen lassen.» Sie selbst suchte sich ihren Weg derweil an der Seite ihrer Eltern in verschiedenen Gesprächen: Gastfamilie, Lehrpersonen der Steinerschule, Mitarbeitende der Stadt Biel, von überall wurden Informationen zu den verschiedenen Optionen und damit ein Puzzlestein nach dem anderen an sie herangetragen. Am Ende war es ihre Mutter, die auf der Website des Kantons Bern das entscheidende Formular fand, sodass sich Zlata Romanchuk um eine Aufnahme am Gymnasium bewerben konnte, genauer am Gymnasium Biel-Seeland. «Ich wollte unbedingt an diese Schule, obwohl alle sagten, es sei ein anspruchsvolles Gymnasium.» Ebenso klar war sie in der Wahl ihres Schwerpunktes: PPP – Pädagogik, Psychologie, Philosophie. «Bei Spätzugewanderten ist das ein eher seltener Schwerpunkt», sagt Konrektorin Floria Rodríguez Meyer, die das Aufnahmegespräch mit Romanchuk führte und später als Bindeglied zu den Lehrpersonen fungierte, etwa im Rahmen der Definition der individuellen Lernziele. «Gerade in Philosophie sind fürs Text- und Zitatverständnis schon ziemlich gute Sprachkenntnisse nötig.» Ein Umstand indes, von dem sich die junge Ukrainerin nicht abhalten liess.
Vielfältige Unterstützung
So trat Zlata Romanchuk im August 2022 an, was nur wenigen Spätzugewanderten gelingt: das dritte Gymnasialjahr mit einem sprachlastigen Schwerpunkt. Am Anfang sei es sehr schwierig gewesen, erinnert sie sich. «Die ersten zwanzig Minuten konnte ich dem Unterricht meist noch einigermassen folgen, danach verlor ich regelmässig den roten Faden.» So musste sie zu Hause nicht nur Hausaufgaben machen, sondern überdies Schulstoff nacharbeiten, vor allem Texte lesen, übersetzen und zu verstehen versuchen. Viel Zeit für die verschiedenen fakultativen Integrationsangebote der Schule blieb da nicht. «Neben den obligatorischen Stützkursen in Deutsch und Französisch bieten wir seit fünf Jahren einen informellen Austauschkanal an, das Coaching für Migrant/innen, bei dem sich Schüler/innen unseres einsprachigen Gymnasiums als Coach melden können», erklärt Floria Rodríguez. Ziel ist, dass die neu Zugezogenen Kontakt mit Gleichaltrigen knüpfen können, die sich an der Schule und im hiesigen Bildungssystem gut auskennen und entsprechende Fragen auf Augenhöhe und aus einer jugendlichen Perspektive beantworten können. «Die meisten Spätzugewanderten sind mit all dem wenig vertraut und gleichzeitig in einem Alter, in dem das Meiste über die Kollegschaft läuft. Dem wollen wir mit diesem interkulturellen Austausch gerecht werden.» Zusätzlich motiviere man die neuen Schüler/innen zur Teilnahme am fakultativen Sport- und Musikprogramm der Schule und empfehle ihnen ein Hobby im Gruppensetting. «Chor, Turnverein, am Ende spielt die Tätigkeit keine Rolle, wichtig ist, dass sie Kontakte pflegen und die Sprache auch in ihrer Freizeit sprechen», hält die Konrektorin fest.
Die Krux mit dem Dialekt
Zlata Romanchuk wüsste, wie ebendies künftig noch besser gelingen könnte. «Für mich war der Dialekt im Austausch mit anderen der grösste Stolperstein. Von meinem Akzent und den zu erwartenden Fehlern habe ich mich nie zurückhalten lassen. Aber es hat sich immer wie eine andere Sprache angefühlt, wenn ich Hochdeutsch gesprochen habe. Zudem hatte ich in Dialektgesprächen viel längere Reaktionszeiten.» Das habe sie oftmals am Mitdiskutieren gehindert. Könnte sie bestimmen, würde sie darum einen fakultativen Stützkurs in Dialekt einführen. «Wie Deutsch als Fremdsprache und Französisch für Zugezogene, einfach im Dialekt und nur mündlich. Das wäre sehr hilfreich. Auch darum, weil sich Dialekt im Gegensatz zu anderen Sprachen nicht allein lernen lässt.» Selbst wer es nicht sprechen möchte, werde fürs Verständnis froh um minimale Dialektkenntnisse sein, ist Zlata Romanchuk überzeugt. Wie viel sich in zwei zusätzlichen Wochenlektionen erreichen lässt, zeigt ihr eigenes Beispiel: Neben ihrer Disziplin und ihrem unermüdlichen Einsatz waren es für sie die Stützkurse, die ihr den Weg durchs Gymnasium und an die Universität geebnet haben. «Auch wenn ich in Deutsch schon Niveau A2 hatte: Die Extralektionen haben den Unterschied ausgemacht.» Als Segen entpuppte sich zudem ihre eigentlich herausfordernde Schwerpunktwahl: «Ich musste für PPP so viel lesen und so viele Worte lernen, das hat meine Deutschkenntnisse zusätzlich gestärkt.» Ein Glück, dass ihr Lesen immer leichter gefallen sei, als Theorie zu pauken, wie sie lachend gesteht.
Klare Zukunftsvorstellung
Während der Maturprüfungen kamen dann Sonderregelungen – eine weitere Stützmassnahme für Spätzugewanderte – zum Zug: Wer mit einem Jahr Vorlauf ein Gesuch stellt, hat die Möglichkeit, in der Erst- und Zweitsprache individuelle Abschlussziele zu beantragen. «In meinem Fall waren das Zeitverlängerung – dreissig Minuten bei den schriftlichen Prüfungen, fünf Minuten mehr Vorbereitungszeit bei den mündlichen – sowie die Zuhilfenahme des Wörterbuches.» Zur Hand genommen habe sie das Wörterbuch kaum, hilfreich sei es trotzdem gewesen, so Zlata Romanchuk. Läuft alles nach Plan, kehrt sie vielleicht dereinst an den Ort der Prüfungen zurück. An der Uni Bern ist sie in Englisch, BWL und Erziehungswissenschaften eingeschrieben. Berufswunsch: Englischlehrerin an einem Gymnasium.
Synthèse : Deux systèmes de formation et quatre langues
Lorsque, en mai 2022, Zlata Romanchuk arrive en Suisse avec ses parents et ses trois sœurs, elle se retrouve assise entre deux chaises en matière de formation. En Ukraine, elle avait en effet déjà achevé les onze années de sa scolarité obligatoire et s’apprêtait à entrer à l’université. En Suisse cependant, il lui manquait les connaissances linguistiques et un diplôme de fin de scolarité reconnu pour pouvoir s’y inscrire. Au Gymnasium Biel-Seeland, elle a obtenu en deux ans la maturité grâce à des objectifs d’apprentissage individuels, des leçons hebdomadaires supplémentaires en allemand et français et quelques réglementations spéciales (temps supplémentaire et recours à un dictionnaire dans la langue première et seconde). Depuis septembre 2024, la jeune femme, âgée de 19 ans, étudie l’anglais, l’économie et les sciences de l’éducation à l’Université de Berne. Elle en est persuadée : « Même si j’avais en Ukraine un niveau A2 en allemand, ma quatrième langue, les leçons supplémentaires ont fait la différence pour décrocher ma matu. »
Karin Hänzi
Foto: Sam Bosshard
EDUCATION 4.24