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Grundkompetenzen – Gemeinsam zu mehr Selbstvertrauen

Mangelhafte Grundkompetenzen machen zahlreiche Alltagssituationen zum Spiessrutenlauf und mindern neben dem Selbstwert auch die Lebensqualität. Ein Teufelskreis, den die Kampagne «Einfach besser!» mit Kursen und Sensibilisierungsmassnahmen durchbrechen will.

Der Kollegin auf der Arbeit kurz eine Notiz hinterlassen, die Packungsbeilage eines Medikaments verstehen, die Steuererklärung ausfüllen, in der App ein Busticket lösen, beim Einkaufen im Kopf einen Rabatt überschlagen: Hapert es mit Lesen, Schreiben und Rechnen, werden viele vermeintlich kleine Dinge zur unlösbaren Herkulesaufgabe.

Schweizweite Massnahmen

Der Drang zum Versteckspiel ist omnipräsent. Lieber greifen Betroffene zu Notlügen, als dass sie gegen aussen eingestehen, dass für sie vieles überhaupt nicht selbstverständlich ist. Um die genannten Situationen zu umgehen, entwickeln Betroffene denn auch zahlreiche Taktiken, mogeln sich bestmöglich durch und sind ständig auf der Hut. Diese Anspannung zu durchbrechen, ist eines der Ziele von «Einfach besser!». Unter diesem Namen setzt sich der Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben zusammen mit der Schweizerischen Weiterbildungskonferenz (SWBK) für die Förderung von Grundkompetenzen von Erwachsenen ein.

Auf der Plattform www.besser-jetzt.ch finden Betroffene verschiedene Kurse, in denen sie ihre Grundkompetenzen niederschwellig, in kleinen Gruppen und auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmt ausbauen können. Von September bis Dezember läuft zudem jährlich eine intensive Sensibilisierungskampagne.

Aktuell befindet sich diese in Vorbereitung. Neben Google Ads, Werbung in den sozialen Medien und in Poststellen sowie in der Radio- und Fernsehwerbung sind für 2024/25 in urbanen Gebieten zudem Anzeigen auf ÖV- und Supermarktbild schirmen geplant, ebenso eine Plakatkampagne in der jeweiligen Region. Die Slogans dafür werden, wie bei der vorherigen Kampagne, in Zusammenarbeit mit Betroffenen erarbeitet und auf den konkreten Kontext im Alltagsleben, zum Beispiel auf das Einkaufen, ausgerichtet.

Breite Kurspalette  

Im Kanton Bern ist für die Kampagne und die Kurse die Fachstelle Grundkompetenzenförderung des Mittelschul- und Berufsbildungsamts zuständig.

«Bei der Kampagne geht es einerseits darum, Betroffene abzuholen und für das Angebot zu motivieren. Andererseits wollen wir die Arbeitswelt und die Gesellschaft sensibilisieren sowie das Thema enttabuisieren»,so die wissenschaftliche Mitarbeiterin Fabienne Müller.

«Vielen ist gar nicht bewusst, wie verbreitet mangelhafte Grundkompetenzen sind und welche Dringlichkeit unsere Kurse darum haben.»

Allein im Kanton Bern haben rund 70 000 Erwachsene Schwierigkeiten beim Lesen von alltäglichen Texten. Gemäss einer Studie von 2006 sind schweizweit etwa 800 000 Menschen davon betroffen, rund 400 000 haben zudem Mühe mit einfachen Rechen aufgaben. Aktuellere Schätzungen gehen überdies davon aus, dass rund ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung nur über geringe oder gar keine digitalen Grundkenntnisse verfügt. Mankos, derer sich die subventionierten Kurse in verschiedensten Formaten annehmen. Vom zweistündigen SBB-Billettautomaten Kurs bis zu ganzjährigen Lese- und Schreibkursen ist alles da bei.

«Diese Kursdiversifizierung ist ganz wichtig: Niemand soll sich noch stärker überfordert fühlen, sondern die Sache im eigenen Tempo angehen können. Wer will, geht aufs Ganze, andere gehen lieber schrittweise vor und bauen ihre Grundkompetenzen nach und nach aus», erklärt Fabienne Müller.

Alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten betroffen

Ziel ist es, die Hemmschwelle so tief wie möglich zu halten. Denn: Haben Betroffene einmal den ersten Schritt gewagt, folgt die grosse Erleichterung in der Regel postwendend. «Sie merken, was ein einzelner Kurs für einen Unterschied machen kann. Wie der Alltag plötzlich leichter und einfacher wird. Und vor allem auch: dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind.» Auch in dieser Hinsicht sind mangelnde Grundkompetenzen ein Teufelskreis: Weil Betroffene meist alles tun, um ihre Lücken zu verstecken, können sie sich untereinander gar nicht als solche erkennen. So festigt sich der Eindruck, damit allein zu sein. «Merken sie, dass dem nicht so ist, stärkt das ihren Selbstwert und ihre Selbstwirksamkeit.» Falsch sei auch die Annahme, dass lückenhafte Grundkompetenzen mit Bildungsgraden zusammenhängen, so Fabienne Müller. «Das Thema ist komplex.

Dass jemand ins Abseits gerät, ist entsprechend vielschichtig begründet», hält sie fest und nennt unter anderem gesundheitliche Faktoren wie nicht erkannte Seh- oder Hörschwächen, Legasthenie oder Konzentrationsschwierigkeiten/ADHS, familiäre oder sozioökonomische Hintergründe und wenig förderliche Lehrpersonen als mögliche Gründe. Umso wichtiger sei die Enttabuisierung des Themas, ist sie überzeugt. «Auch daran wollen wir mit der Kampagne arbeiten. Weniger abstempeln, mehr fördern, nicht nur in der Schule, sondern gesamthaft als Gesellschaft – das muss unser Credo sein, wenn die Zahl Betroffener sinken soll.»

Gemeinsamer Effort

Die Fachstelle Grundkompetenzen fokussiert darum auch da rauf, die Betriebe besser in die Förderung von Grundkompetenzen einzubinden. Unter dem Motto «Einfach besser! … am Arbeitsplatz» finden Betriebe Zugang zu massgeschneiderten Kursen. Zusätzlich wird gerade ein Vorbereitungskurs, der Erwachsene fit für den Berufsabschluss machen will und alle Grundkompetenzen einbezieht, vom Pilot- in den Regelbetrieb überführt und neu auch auf Französisch angeboten, auch hier mit dem Ziel, das Angebot laufend auszubauen. Gleiches gilt für den «LernRaum» im Berner Generationenhaus, ein niederschwelliges Angebot der Volkshochschule Bern. Hier können sich Betroffene nach dem Walk-in-Prinzip zum Beispiel beim Ausfüllen eines Formulars helfen lassen oder gemeinsam mit den Mitarbeitenden auf dem Computer ein Ablagesystem schaffen. Alles kleine Schritte, die vielleicht irgendwann zum Besuch eines Kurses und damit raus aus dem Teufelskreis führen. Lanciert wurde zudem ein Pilotprojekt, das beim Sozialdienst und bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) ansetzt. Vermuten Beratungspersonen Lücken in den Grundkompetenzen bei ihren Klientinnen und Klienten, können sie diese beim Stadtberner Berufsberatungs- und Informationszentrum (BIZ) für eine voll ständige Grundkompetenzenabklärung anmelden. Bestätigt die Abklärung die vermuteten Lücken, verpflichten sich Sozialdienst und RAV, den Betroffenen einen passenden Kurs zu finanzieren und so einen Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern. «Mangelnde Grundkompetenzen sind ein Thema, das uns alle angeht und das wir mit vereinten Kräften anpacken müssen, wollen wir erfolgreich sein», so Fabienne Müller.

Kurssuche für Privatpersonen (mit Vorlesefunktion):

www.besser-jetzt.ch/kurssuche.cfm 

oder kostenlose Beratung zu den Angeboten unter der Telefonnummer
0800 474 747

Informationen für Betriebe:
www.be.ch/kurse-in-betrieben

Grundkompetenzen

Das Fachportal «Grundkompetenzen» definiert diese grundlegenden Fähigkeiten wie folgt: die Fähigkeit, schriftliches Textmaterial zu verstehen, zu nutzen und darüber zu reflektieren; mit Schrift lesend und schreibend, sinnentnehmend und sinn produzierend umzugehen; das Erkennen und Verwenden von numerischen Informationen im Alltag, d. h. mithilfe der Mathematik Probleme zu lösen und zu beschreiben; digitale Inhalte zu nutzen, aufzurufen, zu filtern, zu beurteilen, zu erstellen, zu programmieren und zu teilen.
 

Synthèse : Développer les compétences de base de toutes et tous

 

Dans le canton de Berne seulement, quelque 70 000 adultes ont des difficultés à lire des textes du quotidien. Dans toute la Suisse, environ 800 000 personnes seraient concernées par le même problème, d’après une étude de 2006. 400 000 auraient en plus du mal à effectuer des calculs simples. Des études plus récentes montrent qu’environ un cinquième de la population suisse ne disposerait pas ou que de très peu de connaissances de base en informatique. En raison de leurs lacunes dans les compétences de base, les personnes concernées se trouvent en difficulté dans leur vie privée et professionnelle. La campagne « Simplement mieux ! » vise à stopper cette spirale négative. Le site www.simplement-mieux.ch, projet commun de la Fédération suisse Lire et Écrire et de la Conférence suisse de la formation continue (CSFC), propose différents cours sur mesure accessibles au plus grand nombre permettant aux personnes concernées d’améliorer leurs compétences de base. En parallèle, une campagne de sensibilisation est lancée chaque année de septembre à décembre.

Karin Hänzi

Foto: Rolf Marti

EDUCATION 2.24

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