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Die Erfahrung Tanz ermöglichen

Die Berner Tanzschaffende Lucía Baumgartner bringt im Rahmen ihrer Projekte seit vielen Jahren Schüler/innen in Berührung mit zeitgenössischem Tanz. Diesen Sommer wurde ihr der kantonale Kulturvermittlungspreis 2024 verliehen. Im Interview spricht sie darüber, was Tanz in die Schule bringt.

Lucia Baumgartner

Du hast als Tanzschaffende ein sehr breites Portfolio. Wie arbeitest du mit Tanz?
Lucía Baumgartner Ich trage verschiedene «Tanzhüte»: Einerseits tanze ich mit unterschiedlichen Menschen – ich choreografiere, unterrichte regelmässig Tanztechnik und Improvisationskurse, bin seit einem Jahr als Dozentin an der PHBern tätig. Anderseits engagiere ich mich kulturpolitisch für den Tanz. Ich setze mich für Sichtbarkeit und Wirksamkeit von Vermittlung im Tanz ein und spüre Orte auf, die noch nicht «tanzgesättigt» sind. Dort initiiere ich Angebote, führe diese aber nie allein durch: Ich glaube stark an Vernetzung, bin umgeben von inspirierenden Menschen mit viel Knowhow und stehe in ständigem Austausch mit ihnen. Die Kulturvermittlung ermöglicht es mir, in ganz unterschiedlichen Kontexten tätig zu sein und mit diversen Menschen in Kontakt zu kommen. Ich habe mit Gefängnisinsassinnen gearbeitet, an Schulen in Ortschaften, die kaum Zugang zu Tanzaufführungen haben, mit Menschen mit Beeinträchtigung.

Welche Verbindungen gibt es zwischen dem Tanzen und dem Lernen?
Die Arbeit mit Präpositionen eignet sich als Beispiel: Als grammatikalische Kategorie sind diese schwierig zu fassen, sie aber körperlich im Raum zu erfahren, ermöglicht einen ganz anderen Zugang. Das hilft ungemein beim Verstehen. Das Bewusstsein für den Körper als Instrument wird gestärkt, die Schüler/innen nehmen wahr, wo sie stehen, welche Körperhaltung sie haben, was sie damit ausdrücken. Sie nehmen Bezug aufeinander, beispielsweise beim Kreieren eines Duos. Das sind lehrreiche Effekte des Tanzens. Gleichzeitig setze ich mich dafür ein, dass der Tanz nicht instrumentalisiert wird, um Konflikte zu lösen – er wirkt auf einer anderen Ebene. Tanz muss keine Geschichte erzählen, die kognitiv erfassbar ist; er wirkt assoziativ und knüpft an eigene Erfahrungen an.

Du hast mehrere Angebote für Schulen. Was gefällt dir an der Arbeit mit Schüler/innen und Lehrer/innen?
Das «tanzende Klassenzimmer» bringt Kinder und Jugendliche mit wenig Aufwand in Bewegung, in ihrer vertrauten Umgebung. Es entstehen Choreografien aus Alltagsbewegung, wir nutzen Pulte und Stühle für den «Tanz mit Objekt», der übrigens so im Lehrplan festgeschrieben ist. Die Workshops zum «Welttanztag» ermöglichen einen Erstkontakt mit zeitgenössischem Tanz, wir erarbeiten jährlich eine Choreografie für 120 Schulklassen.
Als ehemalige Primarschullehrerin gehe ich zurück an die Schule mit dem, wofür mein Herz schlägt. Besonders an der Oberstufe gibt es mehrere Faktoren, die das Tanzen im Unterricht erschweren. Ich stärke die Lehrer/innen darin, ihre Schüler/innen zu motivieren, denn sie selbst müssen nicht vorzeigen und vortanzen – ich gebe ihnen Tools an die Hand, damit sie Raum schaffen für Tanz. Wenn sie mich an die Schule holen, dann übernehme ich das Tanzen mit den Kindern und Jugendlichen. Es ist jedoch zentral, dass die Lehrpersonen präsent sind: Ob ein Projekt erfolgreich verläuft, hängt massgeblich davon ab, ob die Lehrer/innen aktiv dabei sind und ihrer Klasse zuschauen, befürwortend und unterstützend.

Im August wurde dir der diesjährige kantonale Kulturvermittlungspreis verliehen. Worin bestärkt er dich, wozu motiviert er dich?
Ich denke vernetzt und arbeite fokussiert, das ist mein Leitsatz. Was ich entwickle, entsteht, weil ich mich aufmerksam damit beschäftige, was mich umgibt, und mich immer wieder frage, wo Lücken sind und wo ich Menschen auf Augenhöhe und niederschwellig mit Tanz in Berührung bringen kann. Dass diese Arbeit wahrgenommen und geschätzt wird, bedeutet mir sehr viel. Die Verleihung des Kulturvermittlungspreises stärkt mich ungemein in meiner Arbeitsweise und motiviert mich weiterzufahren und mein gesammeltes Wissen aus Praxis und Theorie über Tanzvermittlung gerade auch im Kontext der PHBern an angehende Lehrer/innen weiterzugeben. Kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht, doch nicht alle haben die Möglichkeit, dieses Recht wahrzunehmen. Mein Anliegen ist es, genau solches Tanzerleben an Orte zu bringen, an denen es andernfalls erschwert oder unmöglich ist.

Fokusthema Tanz

Bruna Casagrande

Foto: Alexandra Jäggi

 

EDUCATION 3.24

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