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Rojen Karavil: «Es ist wichtig, dass wir alle KI-kompetent werden»

Technik hat mich immer interessiert. Deshalb habe ich als junge Frau in Istanbul das Studium zur Ingenieurin begonnen. Mit der Zeit war mir dies aber zu trocken, ich wechselte das Fach und wurde Journalistin – erst in der Türkei, dann beim Fernsehen im kurdischen Teil des Irak.

Auch Menschen haben mich immer interessiert. Heute ist es mir möglich, beruflich beides miteinander zu verbinden. An der PHBern bin ich Dozentin im CAS «Berufliche Orientierung begleiten» und Gastdozentin an einem Seminar zum Thema Migration. Am Berufsbildungszentrum Biel arbeite ich als Projektleiterin für digitale Unterrichtsinnovationen und als Klassenlehrerin mit Jugendlichen, die eine Vorlehre machen.

Ich kann die Vorlehre nur empfehlen. Es geht dabei um ein Jahr, in dem sich die jungen Menschen vergewissern, ob sie auf dem richtigen Weg sind, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Mit den Lehrbetrieben haben sie einen Vertrag für ein Jahr, der danach auf die ganze Lehrzeit erweitert werden kann. Wir haben eine sehr hohe Quote von Schülerinnen und Schülern, die ihre Lehre im Betrieb der Vorlehre fortsetzen.

Momentan werden zwei Klassen mit maximal 14 Jugendlichen geführt. Dies ermöglicht individuelle Begleitung und Beratung, Frontalunterricht geben wir kaum.

Die Bedürfnisse der Jugendlichen sind unterschiedlich. Etwa 20 Prozent haben Migrationserfahrung, was bedeutet, dass sie oft reif und resilient sind. Zu sehen, wie diese Jugendlichen denjenigen Mut machen können, die ihnen umgekehrt zum Beispiel mit der Sprache helfen, freut mich immer wieder. Es ist ein Geben und Nehmen. Deshalb bin ich klar für Inklusion.

Ich selbst bin seit 17 Jahren in der Schweiz, mit meinem Sohn, der nun kurz vor der gymnasialen Matura steht. Ich bin Bernerin geworden, ja, das kann ich so sagen. Ich liebe Bern. Aber ich habe viele Farben. Ich bin auch Kurdin, ich spreche die beiden kurdischen Idiome Kurmancî und Badini, Türkisch, Deutsch und Englisch. An unserer zweisprachigen Schule in Biel habe ich eine Kollegin, die französisch mit mir spricht. Ich verstehe sie gut, antworte aber auf Deutsch, was wiederum sie versteht. Biel ist wirklich bilingue, das finde ich inspirierend. Überhaupt gefällt es mir, dass die Schweiz mehrsprachig ist. Rätoromanisch sprechen nur 0,5 Prozent der Bevölkerung, dennoch ist es eine offizielle Landessprache. Wenn man bedenkt, dass es anderswo auf der Welt Millionen von Menschen verboten ist, ihre Sprache zu sprechen, dann grenzt das fast an ein Wunder.

Im Klassenzimmer stehe ich montags und dienstags, da ist mein Stundenplan fix. Ab Mittwoch ist meine Woche flexibler, und jede sieht etwas anders aus. Im Bereich «Digitale Unterrichtsinnovationen» bin ich zurzeit sehr gefordert, Stichwort KI. Wir hinken da hinterher, weil die Entwicklung sehr schnell fortschreitet und die Jugendlichen viel mehr Zeit ins Experimentieren mit KI investieren können als wir. Dabei sollten Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern unbedingt einen Kompass mitgeben.

Sie – und wir alle – müssen kompetent werden im Umgang mit KI. Wir versuchen, den Jugendlichen aufzuzeigen, was KI mit ihnen macht, wie detailliert alles, was sie tun, erfasst und verarbeitet wird – und dazu verwendet, ihnen dann passende Informationen zukommen zu lassen. So bleibt ihr Horizont beschränkt, sie leben in Bubbles und merken gar nicht, dass es ausserhalb davon noch anderes gibt. Im Unterricht habe ich erlebt, wie beeindruckt sie sind, wenn sie anhand konkret durchgespielter Beispiele realisieren, dass sie über die aktuellen Informationstechnologien zu «gläsernen Menschen» werden. Die meisten nutzen KI völlig naiv. Mir gefällt es, in diesem Bereich zu forschen und wirksam zu sein. 

Rojen Karavil (48)

ist Dozentin an der PHBern und Lehrerin am BBZ CFP Biel- Bienne, wo sie auch das Projekt «Digitale Unterrichtsinno vationen» leitet. Sie arbeitet 100 Prozent, daneben ist sie Filme macherin. Bevor sie 2008 in die Schweiz kam, war sie als Journalistin und TV-Moderatorin in der Türkei und im Irak tätig.  

Tina Uhlmann

 

EDUCATION 4.25

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