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David Sieger: «Wenn man seine Arbeit gut machen will, muss es einem wichtig sein, wie es den Leuten geht»

Die Menschen sind für mich das Wichtigste an meiner Arbeit: unser Team, unsere Schülerinnen und unsere Schüler. Das Team besteht aus 36 Leuten. Wir haben an unserer besonderen Volksschule derzeit rund 50 Kinder, das sind 5 bis 9 pro Klasse. Ich weiss, das tönt nach wenig. Aber bei uns wird jedes Kind individuell beschult. Bei uns geht es neben dem Lernen vor allem auch darum, dass die Kinder Selbstvertrauen entwickeln, dass sie starke Menschen werden und einstehen können für das, was sie wollen.

Meine Ausbildung zum Heilpädagogen habe ich an der BFF gemacht. Damals hiess das «Lehrer für Menschen mit geistiger Behinderung». Es war eine sehr praxisorientierte, kreative und persönlichkeitsentwickelnde Ausbildung. Schade, dass es sie nicht mehr gibt.

Ich war sechs Jahre lang Geschäftsleiter beim Zirkus Chnopf. Das Herumziehen mit dem Zirkus war wunderbar. Wir haben die Kinder jeweils von April bis September aus der Schule genommen. Heute bin ich noch immer viel unterwegs. Geplant wird nicht: Wir steigen ein und fahren einfach los. Das geniesse ich. Denn im Beruf muss ich genug planen und entscheiden.

Gleichzeitig braucht es in unserer Schule unheimlich viel Flexibilität – und die hat unser Team. Denn kein Tag ist gleich; das gefällt mir. Meine Arbeitstage beginnen meistens um viertel vor sechs, also eigentlich viel zu früh. Ich mache meinen Teenie-Töchtern das Zmorge und fahre dann von Bern nach Interlaken ins Zemi – ins Zentrum Mittengraben. Diesen Weg mache ich jetzt schon seit 15 Jahren.

Wenn ich dann in der Schule ankomme, gehe ich in meinen Container, ein Provisorium, das vor 18 Jahren gleich hinter dem Schulhaus hingestellt worden ist. Ich sehe immer, wer kommt, das mag ich. Bis vor Kurzem tropfte es bei Regen durchs Containerdach, und ich musste jeweils einen Eimer am richtigen Ort platzieren. Da mich das Leben im Zirkuswagen aber gelehrt hat, unter einfachen Bedingungen gut zurechtzukommen, störte mich das zum Glück nicht. Ich bin unkompliziert. Und mittlerweile ist das Dach geflickt.

Nachdem ich den Computer hochgefahren habe, mache ich sehr oft eine Tour durchs Schulhaus. Auch wenn ich meistens nicht allzu viel sage, ist es mir doch sehr wichtig, allen stets einen guten Morgen zu wünschen. Nach meiner Tour kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Anliegen zu mir. Dann geht es darum, Fragen zu beantworten, Dinge abzuklären und Lösungen zu finden – eine Arbeit, die ich sehr gerne mache. Zum Glück kann ich mich auf ein kompetentes Team verlassen. Und wenn ich kurz mal abschalten möchte, steht im Büro ein kleiner Basketballkorb, in den ich gelegentlich ein paar Bälle werfe, um den Kopf zu lüften.

Im Zemi beschäftigt mich derzeit die Planung eines Neubaus. Unser in die Jahre gekommenes Schulhaus wurde einst für drei Klassen gebaut, mittlerweile haben wir acht – und eigentlich bräuchte es sogar elf Klassen. Ich finde es grossartig, ein neues Schulhaus für die besondere Volksschule planen zu dürfen, habe dazu auch eine Diplomarbeit geschrieben. Für den Schulraum einer besonderen Volksschule gibt es andere Anforderungen – wobei ich überzeugt bin, dass diese Anforderungen für alle Kinder gut wären.

Meine Arbeit hat auch herausfordernde Seiten: Die Belastung ist hoch, und es gibt immer wieder schwierige Situationen mit Kindern oder deren Familien. Nicht selten klingelt das Telefon auch spätabends oder am Wochenende. Aber wenn man diesen Beruf ernst nimmt, muss einem das Wohlergehen der Menschen wirklich am Herzen liegen – das erfordert echte Anteilnahme, und manchmal gibt man dabei auch viel von sich selbst.

Solange es spannend bleibt und mich die Arbeit hier in Interlaken weiterhin so fordert und erfüllt, sehe ich meine Zukunft sehr gerne am Zemi. Ich verbringe einen grossen Teil meines Lebens mit dieser Aufgabe – da wäre es schade, wenn sie mir keine Freude mehr bereiten würde. Sollte es je anders kommen, würde ich wohl neue Wege suchen.

David Sieger (41)

ist Schulleiter der besonderen Volksschule im Zentrum Mittengraben in Interlaken. Früher war er Klassenlehrer, machte Musik und war Geschäftsleiter des Zirkus Chnopf. Er wohnt mit seinen Töchtern in Bern.

Esther Diener-Morscher

 

EDUCATION 4.25

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