Was, wenn wir Kindern bereits in der Schule die Kunst des Friedenschliessens lehren würden? Eine Steffisburger Oberstufenklasse hat es gemeinsam mit ihrer Lehrerin Christine Brügger und Schulsozialarbeiter Ueli Gnägi ausprobiert. Eine Lektion im Brückenschlagen.
Potenzielle Streitauslöser kommen den Steffisburger Drittklässlern an diesem Dienstagvormittag ganz viele in den Sinn. Genannt werden unter anderem: Man lässt jemanden nicht mitspielen, ist fies zueinander, will mit dem Gleichen arbeiten oder spielen, stibitzt sich Stifte, hat unterschiedliche Meinungen. Manchmal lassen sich die Konflikte in Eigenregie lösen, manchmal nicht. Genau für diesen zweiten Fall sind heute neben den Drittklässlerinnen und Drittklässlern überdies vier Neuntklässlerinnen und Neuntklässler, deren Klassenlehrerin sowie einer der Steffisburger Schulsozialarbeiter anwesend. Gemeinsam mit den jüngeren Kindern wollen sie die Friedensbrücke einführen: ein ebenso bewährtes wie einfaches Modell, mit dem sich Streit in vier Schritten schlichten lässt. Geleitet werden die zwei Lektionen nicht von den Lehrpersonen, sondern von Aileen, Amanda, Richard und Thierry aus der 9. Klasse, die sich für diesen Vormittag freiwillig gemeldet haben. Auch das gehört in Steffisburg zur Friedensbrücke. Aber dazu später mehr.
Von Rot zu Grün

Vorerst teilt sich die 3. Klasse in Halbklassen auf. Die eine Hälfte verzieht sich mit Richard, Thierry und Christine Brügger in den Gang, die andere bleibt mit Aileen, Amanda und Ueli Gnägi im Klassenzimmer. Mit Gefühlskarten und -pantomime nähert sich die Gruppe dem Thema spielerisch an, spürt Ausprägungen einzelner Gefühle nach und ist damit schon fast mittendrin in der Friedensbrücke. Diese führt von zwei Seiten über je eine rote, orange und gelbe zu einer gemeinsamen grünen Karte. Hier schliessen die beiden Kinder im besten Fall Frieden. «Rot steht fürs Hässigsein und widmet sich der Frage, was passiert ist. Bei Orange fragen wir uns, wie wir uns in der Situation gefühlt haben, und versuchen, uns mit einem Perspektivenwechsel in unser Gegenüber einzufühlen», erklärt Amanda. «Bei Gelb suchen wir gemeinsam nach einer Lösung. Sind mit dieser alle einverstanden, treffen wir uns bei Grün und reichen uns die Hand.» Während des Parcours gelten klare Regeln: fair, respektvoll und nett bleiben, einander ausreden lassen und sich in die Augen schauen. Die Drittklässlerinnen und Drittklässler hören aufmerksam zu und melden sich begeistert für die anschliessenden Rollenspiele.
Zuerst übernehmen Aileen und Amanda das Moderieren, nach drei Durchgängen versucht sich das erste Kind daran – und stellt sich alsbald als Naturtalent heraus. Sowieso lernen die Kinder rasch und gestalten ihre Rollenspiele mit jedem Mal kreativer. Lauteten die Wünsche bei Gelb anfangs noch «dass sie das nie mehr macht», werden sie schon bald zu «dass er mir eine neue Karte zeichnet».
Was Frieden mit Fussball zu tun hat

Ähnlich verhält es sich mit dem Perspektivenwechsel, einem der Schlüsselelemente der Friedensbrücke. «Zu merken, dass auch das andere Kind Gefühle hat, und mit dem kurzzeitigen Seitenwechsel dessen Platz einzunehmen, sorgt immer wieder für Aha-Momente», sagt Christine Brügger in der Pause. Zurück beim Rollenspiel erläutert Thierry die Aufgabe des moderierenden Kindes: «Dieses Kind verhält sich neutral, stellt sich also auf keine Seite. Es steht darum immer bei der grünen Karte. Das klingt einfacher, als es manchmal ist. Ihr müsst in dieser Rolle nämlich auch dann neutral sein, wenn euer bester Freund in den Streit verwickelt ist.» Richard bringt eine weitere mögliche Hürde ins Spiel: «Was ist, wenn sich ein Kind nicht entschuldigen will?» Zurück auf Feld eins lautet dann die Devise, denn: «Es läuft nicht immer alles nach Plan. Auch das lässt sich mit der Friedensbrücke gut üben.» Was Frieden der Klasse und auch jeder anderen Gruppe bringt, darin sind sich die Kinder einig: zusammen Spass haben, Freunde sein, keine bedrückte Stimmung und nicht allein sein, wenn man mal ein Problem hat. In der Abschlussrunde gehen denn auch alle Daumen nach oben, alle hatten beim Üben der Friedensbrücke Spass. Und gleich mehrere Kinder melden zurück, dass sie auf eine weitere Durchführung hoffen. Christine Brüggers Stichwort, die der Klasse sehr gerne ein Friedensbrücke-Set überlässt. «Damit könnt ihr bis zu unserem nächsten Besuch ein bisschen trainieren. Frieden schliessen ist wie Fussball spielen, je mehr Übung, desto einfacher gehts.»
- Christine Brügger ist mit Leib und Seele Oberstufenlehrerin und richtet den Fokus in ihrer Arbeit auf Selbstwirksamkeit sowie Perspektiven und Ressourcen für die Zeit nach der 9. Klasse.
- «Menschen begeistern» – nach diesem Motto ist Ueli Gnägi in Steffisburg in allen Altersstufen als Schulsozialarbeiter unterwegs. Die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler begleitet er teilweise seit Zyklus 1.
Der Weg zur Brücke
Ein Platz für die Moderationskarten und Gefühlspunkte ist rasch gefunden: «Im Gestell ist die Friedensbrücke immer sichtbar und griffbereit», so Karin Ringgenberg, die Klassenlehrerin der 3. Klasse. Anfangs werde sie ihnen noch helfen, erklärt sie den Kindern, «später schafft ihrs dann allein, da bin ich sicher». Ueli Gnägis Friedensbrücke-Anfrage ist sie gerne nachgekommen. «Wir sind eine eher konfliktreiche Klasse und froh um solche Instrumente. Zudem finde ich gemeinsame Projekte von jungen und älteren Klassen eine super Sache.» Eine Meinung, die Christine Brügger und Ueli Gnägi teilen. Sie waren es, die das freiwillige Angebot der Friedensbrücke in Steffisburg initiiert haben. Ein erstes Mal bereits mit Brüggers vorheriger Klasse, allerdings konnten damals pandemiebedingt eine Zeitlang keine Klassenbesuche stattfinden. Also haben die Schülerinnen und Schüler das Projekt kurzerhand filmisch dokumentiert. Umso grösser ist die Freude über den regen persönlichen Austausch in der zweiten Runde. «Die Friedensbrücke ist Teil des Begegnungsprojekts, in dessen Rahmen meine Schülerinnen und Schüler einmal pro Woche zwei Lektionen in einer Klasse der Unter- oder Mittelstufe mitarbeiten», erläutert Brügger. «Die Friedensbrücke ist quasi die Quintessenz der ganzen Persönlichkeitsbildung, die die Klasse seit ihrem ersten Schultag bei Christine Brügger durchlaufen hat», so Ueli Gnägi. Bereits an diesem ersten Tag haben sie sich während einer Lektion Werten und Haltungen gewidmet und nach einem gemeinsamen Klassennenner gesucht, erinnern sich die beiden. Eine Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen, die sich durch die gemeinsame Schulzeit gezogen und der Friedensbrücke ihr Fundament bereitet hat.
Fürs Leben gelernt
«Gefühle benennen, Mimik und Körpersprache lesen, die Macht der Sprache erkennen, wertschätzende Kommunikation und Feedbackkultur üben, zwischen zwei Positionen vermitteln, Lektionen vorbereiten, durchführen und im Nachgang evaluieren – das und vieles mehr ist der eigentlichen Friedensbrücke vorangegangen», zählt Christine Brügger verschiedene Kompetenzen auf, die sich ihre Schülerinnen und Schüler in den vergangenen drei Jahren aufgebaut haben. «Damit sind sie sowohl für die Friedensbrücke als auch für die Zeit nach den Sommerferien bestens gerüstet», nennt Ueli Gnägi einen Punkt, der Brügger ganz besonders am Herzen liegt: «Wir sind eine Realklasse. Umso wichtiger ist mir, die Jugendlichen in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken und ihnen aufzuzeigen, dass auch sie ihren Platz finden werden.» Daran besteht nach diesem Vormittag kein Zweifel. Aileen, Amanda, Richard und Thierry haben sofort den Draht zu den Drittklässlerinnen und Drittklässlern gefunden, sie grosszügig an ihrem Wissen und ihren Erfahrungen teilhaben lassen und souverän, verständlich und sorgfältig durch die Friedensbrücke geführt. Christine Brügger ist beim anschliessenden Gespräch ganz beseelt. «Das Projekt berührt mich in so vieler Hinsicht. Ich möchte darum die Gelegenheit nutzen und mich bei der Schulleitung, den Standortleitungen sowie den Lehrpersonen der Begegnungsklassen für ihre Unterstützung der Friedensbrücke bedanken.»
L’art de jeter des ponts
En cas de conflit récurrent au sein des classes primaires de l’école de Steffisburg, les enseignantes et enseignants peuvent s’adresser à Christine Brügger et Ueli Gnägi. L’enseignante au degré secondaire I et le travailleur social ont lancé ensemble, avec les élèves de Christine Brügger, une initiative pour aider les élèves à se réconcilier : le pont vers la paix. Il s’agit d’un modèle de résolution des conflits simple et éprouvé, présenté aux enfants par les élèves de Christine Brügger. Lors de notre visite, les adolescentes et adolescents ont présenté le pont vers la paix à une classe de 5H et exercé les élèves, à travers des jeux de rôle, aux quatre étapes à franchir pour faire la paix : la carte rouge sert à clarifier la situation, la carte orange à communiquer ses émotions et à se mettre dans la peau de l’autre, et la carte jaune à trouver une solution qui convienne à tout le monde. Arrivés à la carte verte, les élèves scellent leur accord de paix en se serrant la main. Ils découvrent ainsi comment faire un pas vers les autres et vers la paix.
Karin Hänzi
Illustrationen: büro z
Fotos: zVg
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