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Nicht nur Informationsvermittlung

Der Elternabend ist der wichtigste Anlass für den Austausch zwischen Schule und Erziehungsberechtigten. Dort werden Bedürfnisse und Erwartungen formuliert, die dem Wohl des Nachwuchses dienen. Ein Gespräch mit Thomas Eberhard, Kommunikationsexperte und selbst ehemaliger Klassenlehrer an der Mittelstufe, über Leidenschaft und Planung.

Thomas Eberhard

Thomas Eberhard (56)

war zunächst Klassenlehrer und unterrichtete an verschiedenen Schulen, ehe er an der Uni Bern Erziehungswissenschaften und Kinder- und Jugendpsychologie studierte. Seit 2001 berät er unter anderem Schulbehörden in den Bereichen Kommunikation, Führung und Konfliktmanagement. Zudem ist er an verschiedenen Weiterbildungsinstituten als Dozent für Kommunikation tätig.

Herr Eberhard, mit welchen Erwartungen gehen Sie als Vater an einen Elternabend?
Ich möchte an einem Elternabend Infos zum Schuljahr und zum Unterricht bekommen und das Gefühl erhalten, berücksichtigt zu werden und mitmachen zu können. Die Erwartungen sind für mich dann erfüllt, wenn ein solcher Abend mehr ist als eine reine Informationsveranstaltung mit blossem Fachwissen. Er sollte Raum für persönlichen Austausch, individuelle Rückfragen und die gemeinsame Diskussion von Themen bieten. Im Zentrum soll das Wohlergehen der Kinder stehen und die Schulkultur. Ein Elternabend sollte mir auch Freude machen, vielleicht sogar inspirierend sein, auf jeden Fall sollte er der Beziehungsgestaltung zwischen den Eltern und der Lehrperson dienen.

Sind Elternabende in der Kommunikationsgesellschaft nicht ein Auslaufmodell?
Elternabende sind dafür gedacht, den Erziehungsberechtigten einen niederschwelligen Zugang zur Schule zu sichern und sie mit den verantwortlichen Lehrpersonen zu verbinden. Eltern erwarten heute Austausch. Die Vermittlung läuft längst nicht mehr nur auf der Sachebene, die Bedürfnisse und Erwartungen sind differenziert geworden. Lernziele können auch über andere Kommunikationskanäle vermittelt werden.
Frühere Elterngenerationen sahen in der Lehrperson noch jene uneingeschränkte Autoritätsperson, die allein über die schulische Entwicklung der Kinder entschied. Probleme wurden erst angegangen, wenn sie sichtbar auftraten. Das ist heute anders. Eltern sehen Lehrpersonen mehr als Fachberater. Und sie wollen mitentscheiden und einbezogen werden. Die Kommunikation zwischen Schule und Eltern hat dadurch auch einen präventiven Charakter erhalten.
Der Elternabend ist dann ein Zukunftsmodell, wenn er Platz für den interessierten Austausch bietet. Es ist sinnvoll, wenn Lehrpersonen bei den Eltern Erkenntnisse abholen und diese in die schulische Beziehungsgestaltung mit den Kindern einbauen. Es ergibt Sinn, wenn Eltern wissen, was in der Schule vor sich geht, und die Infos in ihre Erziehungsarbeit einbringen können. Dafür eignet sich der Elternabend immer noch hervorragend als Anknüpfungspunkt.

Wie sind die Wechselwirkungen?
Die Eltern bilden eine starke Community, die nicht nur stellvertretend über den Elternrat am Bildungsbetrieb partizipieren möchte. Da sie deshalb vermehrt eine Beziehung zu den Lehrerinnen und Lehrern ihrer Kinder aufbauen wollen, können die Lehrpersonen wichtige Informationen über die Kinder unkompliziert bei den Eltern abholen und knifflige Themen auch einfacher ansprechen. Die Elternabende tragen auch bestens zum Community-Building bei, wenn die Klassenlehrerin zum Beispiel vorgängig Vorschläge für ein Schulprojekt an die Eltern verteilt, die am Elternabend gemeinsam besprochen und konkretisiert werden. Oder es findet ein Brainstorming darüber statt, was die Klasse im nächsten Quartal alles unternehmen könnte und welche Eltern sich daran beteiligen möchten. So können die Eltern am gemeinsamen Projekt Schule teilhaben und gleich noch gestalterische Verantwortung übernehmen.

Wie sollte eine Lehrperson an einem Elternabend auftreten?
Zentral sind die positive Grundhaltung der Lehrperson gegenüber den Eltern und das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Anlasses. Das Mindset sollte vom Community-Gedanken durchdrungen sein, und eine gelassene Haltung kann auch nicht schaden. Schliesslich sind die Eltern Teammitglieder im Projekt Schule und erwarten nicht, dass die Lehrperson auf alle Fragen gleich eine passende Antwort parat hat. Viel wichtiger sind Authentizität und die Bereitschaft zur Offenheit.
Eltern erwarten von einer Lehrperson, dass sie Kinder gernhat, dass sie Leidenschaft für ihren Beruf besitzt und dass sie einen Plan hat, wie sie den Schulstoff übers Schuljahr gut vermittelt. Wenn das am Elternabend rüberkommt, ist schon vieles gewonnen. Eltern schätzen es ausserdem, wenn die Unterrichtspersonen nicht nur kompetent sind, sondern sie auch deren Linie spüren. Auch Ecken und Kanten haben da durchaus Platz. Wenn die Eltern dann merken, dass sie gemeinsam auf dem Bildungsweg ihrer Kinder unterwegs sind, fühlt sich die Community auch abgeholt.

Sie haben mit Ihrem Handbuch «Aller Eltern Abend» einen praxisorientierten Leitfaden für Lehrpersonen verfasst. Was hat Sie dazu inspiriert, und welche Intentionen verfolgen Sie mit Ihrem Ratgeber?
Ich habe festgestellt, dass trotz aller Planung an den Schulen zu oft erst kommuniziert wird, wenn Schwierigkeiten bereits manifest sind. Dann aber sollte die ganze Kraft in die Lösung der Probleme gelegt werden. Das ist erst möglich, wenn zwischen Eltern und Lehrpersonen schon ein Vertrauensverhältnis besteht. Gute Kommunikation ist Prävention. Sie schafft den Boden für einen konstruktiven Umgang mit schwierigen Situationen. So soll mein Handbuch Lehrpersonen dazu ermuntern, im Dialog mit Eltern eine aktive Rolle einzunehmen und neben Sachthemen auch positive Entwicklungen nach Hause zu vermitteln. Mit wohldosierter Kommunikation können Lehrpersonen wichtige Beziehungsarbeit leisten und so den Grundstein für ein gutes Gelingen der gemein-
samen Schuljahre legen.

Welches sind die Herausforderungen und Missverständnisse an einem Elternabend?
Das grösste Missverständnis ist, wenn der Elternabend als reine Wissensvermittlung verstanden wird. Er sollte stattdessen dafür genutzt werden, sich auf alle Anwesenden einzulassen. Ansonsten verpasst man die Chance, die Eltern ins Schulprojekt zu integrieren.
Ein häufiger Stolperstein ist auch der Umgang mit Kritik, sofern Lehrpersonen Eltern als Konkurrenz oder als Kontrollorgane wahrnehmen. Elternabende sind als Austausch gedacht, es liegt also in der Natur der Sache, dass Einwände geäussert werden. Ein souveräner Umgang mit ihnen kann aber erlernt werden.
Auch sonst gibt es genügend Herausforderungen für Lehrpersonen, seien dies unterschiedliche Weltanschauungen, Sprachbarrieren oder wenn Eltern nicht erreichbar sind. Hier rate ich, ehrlich mit den eigenen Kompetenzen und Kapazitäten umzugehen und den Mut zu haben, Problemfelder an die Schulleitung zu delegieren. Wer den Elternabend aber mit der Frage nach Schweizerdeutschkenntnissen eröffnet, darf sich nicht wundern, wenn sich fremdsprachige Eltern unwohl fühlen. Gerade bei der transkulturellen Kompetenz können die Erwachsenen noch viel vom Selbstverständnis der Kinder abschauen.

Wie gelingt ein Elternabend?
Ein erfolgreicher Elternabend beginnt mit einer sorgfältigen Vorbereitung, bei der auch Details wie Namensschilder und Willkommensaktivitäten bedacht werden, um eine positive Atmosphäre zu schaffen und undefinierte Situationen zu vermeiden. Dazu gehört auch, dass sich Lehrpersonen über die Eltern informieren, gegebenenfalls Elternbriefe übersetzen lassen und nötigenfalls Unterstützung beiziehen. Auch sollte vorab geklärt sein, mit welchen Eltern und Themen es womöglich eine Vorgeschichte gibt, wo Einwände wahrscheinlich sind und wie weit man bereit ist, Dinge im Plenum anzusprechen. Einfache Checklisten sind da sehr hilfreich.
Der Beziehungsgestaltung zwischen den Eltern und der Lehrperson sollte ausreichend Platz eingeräumt werden, mit ausreichend Zeit für das Ankommen und das Kennenlernen, gefolgt von einem informativen Teil mit Raum für Fragen und Austausch. Dabei sollten die Eltern die Leidenschaft der Lehrpersonen für den Beruf und die Kinder spüren und das Schulzimmer im Wissen verlassen, dass das Projekt Schule nur in einem Miteinander vorankommt. Dafür braucht es das Zutun der Lernenden, der Eltern und der Lehrpersonen gleichermassen.

Aller Eltern Abend
Gute Kommunikation zwischen Schule und Eltern

Das Praxishandbuch von Thomas Eberhard befasst sich mit der effektiven Kommunikation zwischen der Schule und den Eltern und zielt darauf ab, Lehrpersonen darin praxisnah zu unterstützen. Der Ratgeber bietet sowohl fundierte Hinweise als auch praktische Tipps für Standardsituationen und Spezialfälle in der Schule-Eltern-Kommunikation (hep-Verlag, 2023).

Christoph Schelhammer

Fotos: Ruben Ung

 

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