Klar, Bewegung macht Spass, fordert einen heraus oder hält einen in Schwung. Darüber hinaus erweist sie sich als Wegbereiterin zu mehr Selbstbestimmung. Das zeigt ein Blick hinter die Kulissen der Stiftung Rossfeld.
Idyllisch gelegen im Rossfeldquartier im Nordwesten Berns, umgeben von Wäldern, Wiesen und ruhigen Quartierstrassen, liegt die Stiftung Schulungs- und Wohnheime Rossfeld. Hier werden Menschen mit körperlichen Behinderungen befähigt, begleitet und unterstützt.
Dies geschieht durch Schulbildung ebenso wie durch das Leben in Wohngruppen, durch Tagesstrukturen und ein breites Spektrum an Therapieangeboten. Aktuell gehen in der Stiftung
76 Kinder und Jugendliche zur Schule, in insgesamt zehn Klassen, von der Basisstufe bis zum Zyklus 3, dort, wo bei den Jugendlichen der Berufswahlprozess beginnt.
Grosses Ziel Paralympics
Was viele nicht wissen: Die Stiftung Rossfeld befähigt nicht bloss zu einem selbstbestimmten Leben, sondern bringt – fast nebenbei – echte Sporttalente hervor.
Da ist zum Beispiel der 15-jährige Bennet aus Ins. Seit dem Kindergartenalter geht er in der Stiftung Rossfeld zur Schule. Aktuell absolviert er das 10. Schuljahr. Bei Bennet wurde nach der Geburt eine Cerebralparese diagnostiziert; eine dauerhafte Bewegungs- und Haltungsstörung, verursacht durch eine frühe Hirnschädigung. Bennet ist passionierter Schwimmer – und als solcher Schweizer Rekordhalter über 50 Meter Delfin im Para Swimming.
Para Swimming bietet Athletinnen und Athleten mit den unterschiedlichsten Behinderungsarten eine Möglichkeit, sich im Wasser zu messen. «Dank der Flexibilität innerhalb der besonderen Volksschule der Stiftung Rossfeld kann ich mich nach dem Unterricht gezielt dem Schwimmsport widmen. Als Leistungsschwimmer absolviere ich jede Woche bis zu sechs Trainings. Im Hallenbad der Stiftung, aber auch in der Schwimmhalle Neufeld in der Stadt Bern oder im Schwimmbad Murten nahe von meinem Wohnort Ins.» Hinzu kommen Krafttraining und Physiotherapie. Ohne einen angepassten Stundenplan, den Bennet von bestimmten schulischen Verpflichtungen entlastet, wäre dieses Pensum kaum zu stemmen. «Dafür bin ich der Stiftung Rossfeld sehr dankbar. So kann ich weiter von meinem grossen Ziel träumen: den Paralympics 2032 im australischen Brisbane.»
Therapie hoch zu Ross
Eine Schülerin der besonderen Volksschule aus dem Zyklus 3, die aufgrund einer Cerebralparese im Rollstuhl ist, besucht einmal die Woche die Hippotherapie: eine therapeutische Behandlung mit dem Pferd zur Förderung von Motorik, Gleichgewicht, Koordination und Körperspannung. Dafür wird sie von der Stiftung mit dem Schülertransport nach Gümligen transferiert. Dort setzt sich die Schülerin auf ein Pferd, ohne selbst aktiv reiten zu müssen. Das Pferd bewegt sich im Schritt, was dreidimensionale Schwingungen auf den Rumpf überträgt. Diese rhythmischen Bewegungen ähneln dem menschlichen Gangbild und trainieren die Tiefenmuskulatur, das Becken, den Rumpf und das Gleichgewicht. «Das Reiten macht mir grossen Spass. Aber ebenso viel Freude machen mir die Sportlektionen in der Schule, wo wir Fangen spielen oder uns im Stepptanz versuchen.»
Aushängeschild Powerchair Hockey
Ein sportliches Aushängeschild der Stiftung ist das Powerchair Hockey, eine ans Unihockey angelehnte Teamsportart, wobei die Spielerinnen und Spieler in der Turnhalle mit einem Unihockeystock den Ball im Tor zu versenken versuchen – nicht zu Fuss in Turnschuhen, sondern im Elektrorollstuhl. 2004 wurde in den Räumlichkeiten der Stiftung der Verein Rolling Thunder Bern gegründet. Dessen erste Equipe spielt in der höchsten Schweizer Liga und ist zweifacher Schweizer Meister. Cheftrainer Daniel Pulver ist selbst Fachperson und Coach für Sport und Bewegung an der Stiftung Rossfeld.
Welchen Stellenwert das Powerchair Hockey bei den Schülerinnen und Schülern geniesst, zeigt das Beispiel des 17-jährigen Andri, der im Zyklus 3 zur Schule geht. «Wenn immer möglich nutze ich die Mittagspause, um in der Turnhalle zu trainieren.» Andri wohnt in der Stiftung, in der Wohngruppe Genua. Der Rollstuhlsport ist ihm eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag. «Powerchair Hockey bietet mir Bewegung, Spielfreude und Wettkampffeeling. In der Turnhalle kann ich mich so richtig austoben.»
Bewegung im Unterricht
Das Bewegungsangebot der Stiftung Rossfeld beschränkt sich nicht nur auf die Turnhalle oder das Schwimmbad. Wie Neuntklässler Jaden hervorstreicht, wird er auch während des Unterrichts in der Schulstube angeregt, sich zu bewegen. «In der Schule folgen wir einem individuellen Wochenplan. Um die Aufgaben gewissenhaft erledigen zu können, ist man angehalten, im Klassenzimmer herumzugehen. Je nach Schulfach gibt es da verschiedene Fächli, in denen man neue Aufgabenblätter findet oder die bearbeiteten Aufgaben deponiert. So ist man viel auf den Beinen. Der Unterricht hält einem auf Trab.»
Auch bei Jaden wurde bei Geburt eine Cerebralparese diagnostiziert. Das Herumgehen im Klassenzimmer ist für ihn mit grossem Kraftaufwand verbunden. Auch er widmet sich in der Freizeit dem Wettkampfschwimmen. Neben Schule und Schwimmtraining findet Jaden Entspannung im Computerspiel Minecraft – das er zugleich ambitioniert im E-Sport-Modus spielt.
Tour de Berne
«Bewegung und Sport bestärken unsere Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstständigkeit», sagt Rahel Wälti, Leiterin Schulbildung der Stiftung. «Wer sich ohne fremde Hilfe fortbewegen kann und die dazu nötigen Bewegungsabläufe regelmässig einübt und festigt, ist weniger auf die Hilfe von Drittpersonen angewiesen.» Um die eben bloss scheinbare Selbstverständlichkeit unabhängiger Bewegungen zu illustrieren, haben alle angehenden Praktikantinnen und Praktikanten der Stiftung Rossfeld eine Tour de Berne zu absolvieren. Einmal quer durch die Bundeshauptstadt – nicht zu Fuss oder auf dem Fahrrad, sondern im Rollstuhl. «Wer sich dieser Herausforderung stellt, merkt schnell, wie unglaublich viel aufwendiger die Fortbewegung mit einem solchen Hilfsmittel ist», unterstreicht Rahel Wälti.
Ambulanter Dienst, grosser Kraftaufwand
Nebst der hauseigenen Schule betreibt die Stiftung Rossfeld einen ambulanten Dienst. Dieser richtet sich an Kinder und Jugendliche mit körperlichen Beeinträchtigungen, die eine Regelschule im Kanton Bern besuchen. Zum Angebot gehören ein auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittener heilpädagogischer Förderunterricht in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen, die Assistenz von motorisch schwer beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler, aber auch die Beratung von Eltern, Lehrpersonen und Schulleitungen. «Der ambulante Dienst wird aktuell von rund 190 Kindern im ganzen Kanton Bern in Anspruch genommen», sagt Leiter Christian Kiener. «Wir pflegen einen Austausch mit medizinischem oder therapeutischem Fachpersonal ebenso wie mit Behörden und Fachstellen.»
Bewegung in jeder Jahreszeit
Bald schon steht der Winter vor der Tür. Die Schulkinder der Stiftung haben dann die Möglichkeit, sich im Snowboarden und Skifahren zu versuchen. Die Stiftung organisiert Jahr für Jahr ein einwöchiges Skilager, im nahegelegenen Skigebiet Schwarzsee. Für Neuntklässler Jaden ist klar: Snowboarden ist deutlich einfacher als Skifahren. «Mit Cerebralparese fährt es sich einfacher durch den Schnee, wenn man mit beiden Beinen auf demselben Brett steht. Skifahren verlangt viel mehr Kraft und eine ständige Beinkoordination.»
Ob im Klassenzimmer, im Hallenbad oder auf der Skipiste: Die Stiftung Rossfeld fordert und fördert Bewegung im Schulalltag. Das braucht Kraft, macht viel Spass – und befähigt zur Selbstbestimmung.
Synthèse : L’activité physique dans les établissements particuliers de la scolarité obligatoire
La fondation Rossfeld, à Berne, donne les moyens d’agir aux personnes souffrant de handicaps physiques, les accompagne et les soutient, que ce soit dans son école, mais aussi dans des groupes d’habitation ou des structures de jour. L’activité physique joue ici un rôle décisif: «Le mouvement et le sport renforcent l’autonomie de nos élèves », explique Rahel Wälti, responsable de la formation scolaire. «Celles et ceux qui peuvent se déplacer sans l’aide d’une tierce personne et qui pratiquent régulièrement et assimilent les mouvements nécessaires à cet effet sont moins dépendants d’une aide externe.» C’est ainsi que la fondation fait naître de véritables talents sportifs. Par exemple, Bennet, 15 ans, qui termine sa 12e année scolaire. Il a été diagnostiqué à la naissance avec une paralysie cérébrale, un trouble permanent du mouvement et de la posture causé par une lésion cérébrale précoce. Bennet est un nageur passionné et détient le record suisse du 50 mètres dauphin en paranatation.
Lukas Tschopp
EDUCATION 3.25